IT-Geschichte: IBM wird 100

Computerhersteller kommen und gehen – IBM bleibt. Das könnte so etwas wie das Fazit der Geschichte des ältesten IT-Unternehmens sein. Wenn ein einziges Fazit genügen würde. Doch die Bedeutung des Unternehmens, das in diesem Jahr seinen 100. Jubiläum feiert, lässt sich schwerlich in eine kurze Formel fassen.
Wie vielfältig die Aktivitäten des Unternehmens und wie wechselhaft dessen Geschichte, lässt sich erahnen, wenn man sich durch die Websites klickt, mit denen der Konzern seinen 100. Geburtstag feiert.
IBM wurde am 16. Juni 1911 unter dem Namen »Computing Tabulating and Recording Company« in New York gegründet. Die ersten Produkte waren Waagen, Uhren – und Lochkarten. Letztere spielten in der Geschichte des Konzerns eine entscheidende Rolle.

Erfunden hatte die Technik einschließlich der dazugehörigen Lochkartenmaschine ein deutscher Ingenieur namens Herman Hollerith. Es war diese Erfindung, die das Unternehmen schnell zum Marktführer in den USA machte. Das System wurde bei der amerikanischen Volkszählung eingesetzt.
Ein wichtiger Erfolgsfaktor war auch Thomas Watson. Er war ab 1915 Präsident der »Computing Tabulating and Recording Company«. Es war Watson, dessen Führungs-Stil das Unternehmen entscheidend prägte. Sein Einfluss auf die Management-Prinzipien ist bis heute spürbar. So baute er schnell einen effizienten Vertrieb auf und legte den Grundstein für eine professionelle Mitarbeiterführung. Schon 1916 veranstaltete die Firma Schulungen für die Mitarbeiter. Damals beschäftigte das Unternehmen 1300 Mitarbeiter.

Immer seriös: IBM und der Dresscode
Auch Themen wie Imagepflege und Marketing standen bereits unter Watson auf dem Programm. So gab es strenge Kleidervorschriften, die Mitarbeiter sollten jederzeit seriös und kompetent wirken. Bis spät in die 90er Jahre hinein traten die »IBMer« immer in dunkelblauen Anzügen auf und wirkten wie seriöse Bankangestellte. Inzwischen wurden die Kleiderregeln offensichtlich deutlich gelockert und die Manager und Außendienstler des Konzern treten heute nicht anders auf als die anderer Unternehmen aus der IT-Branche. Gepflegt und seriös wirkend, aber trotzdem locker.
1924 ändert die »Computing Tabulating and Recording Company« ihren Namen und hieß fortan International Business Machines.
Hollerith und böse Vorwürfe
Allerdings markiert die Lochkarten-Maschine von Hollerith auch ein Kapitel in der IBM-Geschichte, das der Konzern gerne verschweigt. Jedenfalls ist in den von IBM selbst verfassten Jubiläums-Festschriften und Rückblicken keine Rede davon. Gemeint ist der Vorwurf vieler Historiker, IBM habe zur Zeit des Nationalsozialismus mit Hilfe der deutschen Tochterfirma Dehomag die Lochkarten-Technik an die Nationalsozialisten geliefert. Diese haben damit Juden, Roma und Sinti registriert, und für den Transport in die Konzentrationslager aussortiert.
Es ist aber nicht klar, wie viel der damalige IBM-Präsident von den angeblichen Geschäftsbeziehungen des Tochterunternehmens zu den Nationalsozialisten wirklich wusste.

Computertechnik im Alleingang
Vom Unternehmen selbst gibt es dazu auf den Jubiläums-Seiten keine Stellungnahme. Logischerweise widmet man sich lieber den schönen Highlights der Firmenhistorie. Wer sich auf der Website in der Geschichte des Konzerns schmökert, gewinnt schnell den Eindruck, IBM habe die IT-Branche praktisch im Alleingang erfunden und alle anderen Firmen seien völlig überflüssig. Elektrische Schreibmaschinen, elektronische Rechner, Großrechner, Arbeitsspeicher, Festplatten, Disketten, PCs, Notebooks – alles hat IBM erfunden, konstruiert und gebaut.
Ganz falsch ist der Eindruck nicht. Tatsächlich stammt ein Großteil der wesentlichen Erfindungen, die den Siegeszug der Computertechnik möglich gemacht haben, aus dem Hause IBM.
Allerdings verstand der Konzern von Thomas Watson es auch immer, die Innovationen von Konkurrenzherstellern durch eine Mischung aus Marktmacht und geschicktem Timing bei der Produkteinführung auszutricksen.
So bleibt die Geschichte der Meilensteine der Computerhistorie weitgehend eine IBM-Geschichte. Und diese ist durchaus beeindruckend.
Der erste kommerziell erfolgreiche elektronischen Rechner, der IBM 604, kam 1948 auf den Markt. 1952 wurde der IBM 701 eingeführt, drei Jahre später der IBM 608, laut IBM der erste »kommerziell verfügbare Computer, der komplett auf Solid-State-Halbleitern« basierte.
1959 war dann die Geburtsstunde des Datenverarbeitungssystems IBM 1401, des weltweit ersten universell einsetzbaren Business-Computers. Die Maschine arbeitete schon nicht mehr mit Elektronenröhren, sondern mit Transistoren. Insgesamt 10 000 Stück wurden in den 60er Jahren verkauft.
Zauberwort Kompatibilität
1964 – damals war bereits Watson Junior Chef des Unternehmens – war das Jahr der Produktfamilie System/360. Der Erfolg des Systems war vor allem bedingt durch das Zauberwort Kompatibilität. Denn alle Rechner und Komponenten der Produktfamilie waren untereinander kompatibel. So konnten Firmenanwender leicht von einem Modell aufs andere umsteigen – und blieben dabei immer zahlende Kunden von IBM.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die Idee der Kompatibilität dem IT-Konzern in den 80er- und 90er-Jahren zum Verhängnis werden sollte, als zahlreiche Hardware-Hersteller mit IBM-kompatiblen PCs und Windows den Markt aufrollten und Big Blue nach und nach in die Defensive drängten.
Doch in den 50er und 60er Jahren war die Marktmacht von Big Blue noch ungefährdet. Geschicktes Marketing und eine langfristig angelegte Strategie waren wichtige Zutaten von IBMs Erfolgsrezept, gut versteckt hinter grundsolidem und seriösem Auftreten. In den 60er und 70er Jahren hatte das Unternehmen allerdings immer wieder Probleme mit den Kartellbehörden, die IBM monopolistisches Geschäftsgebaren und das rücksichtslose Verdrängen von Konkurrenzherstellern vorwarfen.

Patente und Nobelpreisträger
Dabei war der Konzern gar nicht unbedingt darauf angewiesen, die Konkurrenz mit harten Bandagen oder unfairen Methoden zu bekämpfen. Denn die Unternehmenslenker hatten schon sehr früh den Wert von technischen Innovationen entdeckt. Deshalb legte sie auch schon früh großen Wert auf den Bereich Forschung und Entwicklung. Dessen Früchte ließ man sich klugerweise gleich patentieren.
Schon 1932 bekam das Unternehmen mehr als 100 Patente zugesprochen. Heute gibt IBM pro Jahr etwa sechs Milliarden US-Dollar für Forschung und Entwicklung aus. Etwa 3000 Forscher sind in acht Forschungslabors in sechs Ländern für den Konzern tätig. IBM hat bisher mehr als mehr 76 000 Patente erhalten. Sechs Nobelpreisträger sind aus IBMs Reihen hervorgegangen, darunter der Deutsche Gerd Binnig. Er erhielt zusammen mit dem Schweizer Heinrich Rohrer den Preis für das Rastertunnel-Mikroskop.

Kein Wunder, dass der Hightech-Konzern in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts eine Reihe von Innovationen hervorbrachte, die zu Meilensteinen der Computerentwicklung wurden.
Vom RAMAC bis Thinkpad
Die Meilensteine in Stichworten
• 1957: RAMAC, die ersten Plattenlaufwerke, mit einer Kapazität von zehn Megabyte
• 1966: Arbeitsspeicher DRAM
• 1975: IBM 5100, der erste tragbare Computer
• 1976: der erste Laserdrucker
• 1981: der erste Personal Computer
• 1992: der Mobilrechner Thinkpad
Die Produktion von PCs und Thinkpads hat IBM inzwischen eingestellt und an den chinesischen PC-Riesen Lenovo verkauft. Auch sonst bildet Hardware nicht mehr das Hauptgeschäft. Die oben erwähnte Armada aus Hardware-Herstellern, die preiswert und massenhaft IBM-kompatible PCs auf den Markt brachten, machten das Geschäft für IBM zunehmend unrentabel.

IBM heute: IT-Dienstleister und Retter des Planeten
Neben Großrechnern und Servern ist IBM heute nur noch mit Prozessoren und Supercomputern wie dem vor einigen Monaten vorgestellten »Watson« im Hardware-Bereich aktiv. Der Schwerpunkt liegt auf Software und Service. IBM präsentiert sich mit seinen 400 000 Mitarbeitern als globaler IT-Dienstleister, wobei man das Wörtchen IT fast weglassen könnte.
Der Konzern versteht sich als Anbieter von Technologien und Lösungen für die ganz großen Themen: Umwelt, Verkehr, Energieversorgung, Wasserversorgung, Wirtschaft, Finanzen – für alles hat der einst Big Blue genannte Weltkonzern aus Armonk, New York passende Angebote und Lösungen parat.
Seit 2008 vermarktet das Unternehmen sein Portfolio unter dem anspruchsvollen Label »Smarter Planet«. Und bestätigt damit eine Erkenntnis, was vor 100 Jahren schon galt: Das Wörtchen »smart« passt am allerbesten zu IBM selbst.