Interpol beziffert Schaden durch Cybercrime in Europa auf 750 Milliarden Euro

“80 Prozent der im Internet begangenen Kriminalität ist auf grenzüberschreitend tätige organisierte Banden zurückzuführen”, so Interpol-Präsident Khoo Boon Hui zum Auftakt der Europäischen Regionalkonferenz der internationalen Polizeiorganisation in Tel Aviv. Das gehe aus einer Studie der London Metropolitan University hervor. Allein Europa entstehe durch Onlinekriminalität jährlich ein Schaden von rund 750 Milliarden Euro.
“Kriminelle Banden haben inzwischen herausgefunden, dass internationales Cybercrime lukrativer und profitabler ist als andere, riskantere Formen illegaler Geschäfte”, so der Interpol-Chef weiter. Beispielsweise hätten Finanzinstitute in den USA rund 900 Millionen Dollar an Bankräuber verloren, jedoch 12 Milliarden Dollar an Cyberkriminelle.

Der Interpol Chef zitierte zudem einen Bericht der Vereinten Nationen, wonach länderübergreifende Bedrohungen wie Onlinekriminalität, das Erreichen der sogenannten Millenium Development Goals gefährdeten. Darunter sind acht Ziel zusammengefasst, auf die sich die Staatengemeinschaft geeinigt hat um bis 2015 extreme Armut und die Ausbreitung von Krankheiten zu bekämpfen sowie besseren Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung zu schaffen.
Als ein Beispiel für die erfolgreiche Arbeit seiner Organisation nannte Khoo Boon Hui die Festnahme von 137 Bandenmitgliedern aus China und Taiwan durch die malaiische Polizei im vergangenen Monat. Sie hätten illegal ein Online-Wett- und Spielbüro betrieben und damit 1,3 Milliarden Dollar aus der ganzen Welt eingenommen. Das Syndicat habe von sechs Luxushäusern in einer Nobelsiedlung in Malaysia aus operiert, in der auch ein ehemaliger Premierminister wohnte.
Nur zwei Tage später wurden in dem südostasiatischen Land 83 weitere Kriminelle verhaftet, die Opfer in China und Taiwan durch verschiedene Onlinebetrugsmethoden um ihr Geld gebracht hatten. Die Betrugsaktivitäten wurden von Macau aus gesteuert und von Kambodscha, Indonesien, den Philippinen und Thailand aus betrieben, was das Risiko der Entdeckung und Strafverfolgung erheblich reduziert hatte. Die Personen befanden sich bereits alle auf der Flucht – zwar hatten sie keine Kenntnis von der zuvor verhafteten Bande, ließen sich aber auf denselben Gangsterboss in Taiwan zurückführen, der sie gewarnt haben muss.
Angesichts dieses Ausmaßes der organisierten Onlinekriminalität will Interpol im ersten Schritt den Kampf gegen Onlinebetrug verstärken. Für 2014 ist die Eröffnung eines neuen Zentrums in Singapur geplant, in dem Polizisten aus der ganzen Welt lernen können, Recht im Internet durchzusetzen. Allerding beklagte Khoo Boon Hui, dass bei einem Interpol-Budget von einer Zehntelmilliarde das Gleichgewicht der Kräfte mit den Kriminellen nicht gegeben sei.
Vor kurzem hatte auch EU-Kommissarin Neelie Kroes eine europaweite Strategie im Kampf gegen Cyberkriminalität gefordert. 2010 hatte die EU beschlossen, eine europaweite Polizeieinheit gegen Cybercrime einzurichten. Das europäische Cybercrime Centre bei Den Haag wird nächsten Januar den Betrieb aufnehmen. Es gehört zu Europol und soll die Kontrolle über die Daten aller EU-Länder sicherstellen.
Den Vorwurf, mit den Onlineaktivitäten zu spät dran zu sein, will sich Interpol übrigens nicht machen lassen: Khoo Boon Hui wies darauf hin, dass Interpol bereits vor 30 Jahren das erste Seminar zum Thema Computerkriminalität angeboten habe – zu einer Zeit also, zu der die meisten Menschen weder die Auswirkungen der Informationstechnologie auf ihr Leben überhaupt noch nicht abschätzen konnten – ganz zu schweigen von denen der Onlinekriminalität.
[mit Material von Sibylle Gaßner Silicon.de]