Prognosen für 2013: Augmented Reality setzt sich durch

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Das Feld Augmented Reality ist kurz vor dem kommerziellen Durchbruch. Dabei hat es in den Forschungslabors schon viel früher existiert – im ehemaligen gemeinsamen “European Computer Research Centre” (ECRC), in dem Siemens aus Deutschland, ICL aus Großbritannien und Bull aus Frankreich auch die erste europäische Internet-Hochgeschwindigkeitsverbindung “Ebone” zwischen München und Amsterdam bauten, wurden auch Forschungsarbeiten an der “Augmented Reality” betrieben. Die fanden zunächst Einzug in Geräte, die Chirurgen bei Operationen halfen, um etwa Herzklappen-Einbauten richtig im Körper zu positionieren.

Verschiedene technische Herangehensweisen vermischen Daten und Realität

Der Telekommunikationsbereich wurde an Cable& Wireless verkauft, AR ist der Nische entwachsen und kann für allerlei andere Zwecke genutzt werden – die Technik dahinter ist softwaregetrieben und hält sich an offene Standards. Die Vorgehensweisen aber sind je nach Anbieter allerdings noch fundamental unterschiedlich.

So hat die Münchner Firma Metaio den Ansatz, virtuelle-Umgebungen wie mit Web-Browsern anzuzeigen – der eigene AR-Browser “Junaio” existiert auch als Add-on für reguläre Server. Junaio arbeitet mit der eigenen AR-Beschreibungssprache AREL (Augmented Reality Experience Language), die sich an HTML und XML anlehnt – die Metaio-Software-Entwicklungskits sind zwar für die einzelnen Geräteklassen programmiert, AREL allerdings ist geräteunabhängig und offen.

Der Aufbau ist nicht so komplex, wie es zunächst scheint. Mit der Sprache werden virtuelle Objekte über einen Server mit den Daten der reellen Welt verbunden. So hat der Hersteller Mitte Oktober 2012 die Münchner Innenstadt digitalisiert und mit Infos über das Verkehrssystem und Tourismus-Infos verbunden.

Video: München als erste Augmented-Reality-Teststadt zeigt, was AR im Tourismus-Bereich leisten kann.

Eine völlig andere Herangehensweise hat Mobilfunkspezialist Qualcomm, der virtuelle Objekte nicht wie Metaio anhand ihrer GPS-Koordination in die reale Welt einbindet, sondern durch Bilderkennung und die mit den erkannten Objekten verbundenen Daten. So können etwa im Bekleidungsfachgeschäft bestimmte Ausdrucke (etwa QR-Codes) angefügt werden, die mit bestimmten Informationen verbunden sind. In einem Museumsprojekt in Warschau gib es zum Beispiel zu jedem Exponat Bilder, mit denen Zusatzinformationen verbunden sind – mit der Kamera entstehen so nicht nur Fotos, sondern auch Wissen: Das Museum drückt jedem Besucher zuerst ein “Ausstellungs-Smartphone” in die Hand.

Qualcomms offene Augmented-Reality-Entwicklungsumgebung verlangt vor allem eine gute Kamera im Smarthone oder Tablet.

Weil der Chiphersteller, der zum Beispiel mit seinen Snapdragon-Prozessoren viele Smartphones und Tablets mit schnellen Bilderkennungsfunktionen bestückt, das “Ökosystem” um die Smartphone-Entwicklung stärken will – um so letzendlich wieder mehr und höherwertige Chips zu verkaufen, gibt er seine Augmented-Reality-Entwicklungstools der Marke “Vuforia” umsonst her. Auch sie sind plattformübergreifend – wer mit ihnen arbeitet, kann die Anwendungen auch auf Mobilgeräten mit Prozessoren/Chipsets anderer Hersteller laufen lassen. Dass das funktioniert belegen die AR-Apps der Anbieter, die mit Vuforia erstellt wurden, aber unter Android und iOS auf verschiedensten Hardware-Plattformen laufen.

Den Ansatz, Kameraaufnahmen mit Bilderkennung zusammenzubringen, um daraus eine Web-Suche zu generieren, hat Google mit “Google Goggles” schon im Dezember 2009 in die Tat umgesetzt und 2011 eine erweitert. Anfangs nur für Android-Geräte, später andere Smartphone-Plattformen und schließlich für die hauseigene Google-Brille, versucht der Suchprimus nun, virtuelle Einblendungen in die reellen Bilder zusammen mit der Suche zu vermarkten.

Auch Microsoft beschäftigt sich mit dem Thema. Erst vor Kurzem reichte der Software-Riese ein entsprechendes Patent ein. Der Konzern will aktuelle Daten in die Brille übertragen und einblenden, etwa bei Sport-Ereignissen. Mancher freut sich schon: Statt Béla Réthy sagt ihm dann die Microsoft-Brille die Statistiken an.

“Aurasma”: HP-Tochter bietet eine Oberfläche für erweiterte Realität

In einem YouTube-Video zeigt ein Teilbereich der britischen HP-Tochter Autonomy anhand kleiner Show-Einlagen, wie deren AR-Software funktioniert. Das Projekt Aurasma wird von HP als “erster visueller Browser” bezeichnet und vereint die Bilderkennungsfunktionen wie sie Qualcomm bietet mit dem Browser-Ansatz, wie ihn Metaio betreibt.

Der “visuelle Browser” sei bereits vier Millionen Mal heruntergeladen worden, Anwendungen würden von rund 10.000 Partnern entwickelt und bereits 500 Apps seien erhältlich, erklärt Aurasma stolz. Das Programm ist für iOS und Android erhältlich. Die mit realen Objekten verbundenen AR-Informationen nennt das Unternehmen “Auras”, die ähnlich wie YouTube-Videos mit anderen “geteilt” werden können – oder automatisch aufgerufen werden, wenn die Bilderkennung entsprechende Gegenstände wahrnimmt.

Einige “Auras” sind bereits im Browser vorinstalliert – so sind reelle und virtuelle Objekte schnell verknüpft. Anders als in den komplizierteren Entwicklersystemen sind die Aurasma-Realitäten schon mit einer grafischen Bedieneroberfläche bestückt – so ist etwa ein virtuelles Schiff per Mauslick einem reellen Gebäude zuzuweisen oder Einkaufsinformationen einem Produkt.

Tools erschaffen “halbvirtuelle” Welten

So ist klar: Die passenden offenen Tools für sinnvolle AR-Anwendungen existieren schon, die ersten Anwendungen sind schon erhältlich, und auch Bedienung und Entwicklung sind weit fortgeschritten. Große Unternehmen aus der Hard- und Software-Branche sind schon lange dabei, Echtes und Virtuelles irgendwie zusammenzubringen.

Die künstlichen Objekte liegen bei Qualcomm auf einem AR-Server (bis zu 80 kostenlos, mehr kosten Geld, können aber auf den eigenen Servern untergebracht werden), bei Google sind sie mit Suchergebnissen und Werbung eng verzahnt, bei Metaio/Junaio meist mit einer kostenpflichtigen Dienstleistung und mit den aktuellen GPS-Koordinaten verbunden.

Statt einem “Internet of things” mit IP-Adressen für jedes Objekt entsteht hier ein “Internet of virtual things”, in dem Daten von und zu Objekten auf Servern liegen – bei Google, Qualcomm und Aurasma werden sie in ihrer Form erkannt und dann den Digital-Infos zugeordnet, bei Metaio werden sie automatisch durch ihre Position zugeordnet.

Geschäftsmöglichkeiten mit der erweiterten Realität

Im sozialen Business-Netzwerk Xing tummeln sich bereits mehrere Gruppen zum Thema. Die größte ist eine, die sich mit Mobil-AR-Technik beschäftigt, doch es gibt auch schon spezialisierte Gruppen zu Marketing mit Augmented Reality und das Entwickeln mit AR-Werkzeugen; selbst ein Augmented-Reality-Stammtisch in München existiert schon.

So ist zu sehen: AR ist rein gesellschaftspolitisch jetzt auf einem Stand, wie es Mitte der 90er-Jahre das Web war: Auch damals trafen sich die Experten zum Austausch, bis aus den vielen Online-Stammtischen nicht nur viele Unternehmen und Arbeitsplätze entstanden, sondern auch ein wirtschaftlich wichtiges Element des Bruttosozialprodukts.

Die größte Social-Media-Gruppe zum Thema schreibt, warum man so weit ist: “Nach beinahe 20 Jahren in den Forschungslaboren nimmt Augmented Reality Gestalt an, um als eine der nächsten großen Innovationen unsere physische Welt mit digitalen Medien, Informationen und Erfahrungen zu erweitern”.

Die Gründer des Forums hoffen auf offene Standards, doch wie diese sich entwickeln werden, wird ein wenig schwieriger werden, als in Zeiten der frühen Web-Entwicklung. Metaio hat zwar eine eigene Beschreibungssprache für die “erweiterten Realitäten” entwickelt, die natürlich offen sein soll – die Software-Routinen, die durch die Befehle aufgerufen werden, gehören aber noch den Software-Unternehmen. So wie “Junaio” noch der erste “AR-Browser” – was allerdings Autonomy auch für Aurasma behauptet-, war auch Mosaic einmal der erste und einzige Web-Browser, bis schließlich Netscape und dann zahlreiche andere folgten. Und auch das SDK des Chipherstellers Qualcomm ist offen. Bei Google und Microsoft steht noch nicht ganz fest, was offen und was geschlossen ist.

Wie die vielen verschiedenen Herangehensweisen zum gemeinsamen Standard werden können, ist noch längst nicht klar. Doch dass es an verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten nicht mangelt, ist längst ausgemachte Sache. So beschreibt etwa Stylianos Mystakidis von “Immersive Worlds“, wie sich AR in den E-Learning-Alltag einbinden lässt. Inzwischen sei man sogar so weit, dass überzogene Erwartungen heute eher einer realistischen Nutzen-Analyse weichen würden.

Einen offenen Standard für derartige AR-Anwendungen biete auch Wikitude mit ARML 2.0, der sich wie die anderen beiden “Standards” um das Vermischen von virtuellen und reellen Bildern kümmert. So sei es leicht, die Brille zum Teleprompter zu machen, neurologische Gestenerkennung einzubauen und Lerninhalte mit Realbildern zu vermengen. Mystakidis, der mit ARML arbeitet, ist sich sicher: “Augmented Reality wird zum Mainstream”. Es fehle nur noch an guten Business-Plänen – aus dem Geek-Umfeld ist die Technik längst heraus.

Wir gehen sogar so weit zu behaupten, dass schon 2013 das Jahr wird, in dem mit Augmented Reality richtig Geld verdient wird. Und zwar erst einmal im Produktmarketing. Ein Smartphone-Blick auf das Objekt der Begierde zeigt schnell die zugehörigen Daten eines PCs, eine 3D-Anzeige zeigt die Farbauswahl eines Pullovers, der gerade ins Kamerasichtfeld des Smartphones gerät oder ein Kameraschwenk auf die Pommes Frites zeigt ganz einfach den Preis der anvisierten Nahrung.

So, wie Anfang der 90er zunächst die Web-Firmen Aufbauarbeit leisteten, bevor der Kommerz das Internet überflutete, beginnen jetzt die AR-Entwickler, kreative “erweiterte” Welten aufzubauen – die sich schnell zum “nächsten großen Ding” im digitalen Kommerz entwickeln könnten.

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