Online-Marketing an der Grenze
Extreme Werbung: der Spagat zwischen mutigem Marketing und echter Fälschung

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Wer war das?

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Wer war das?

Das war der Gipfel: Ein Plakatmotiv des verstorbenen Modeschöpfers Rudolph Mooshammer, daneben ein Siemens- Gigaset und darunter der Spruch ?Schnurlos gibt Sicherheit … hätte ich das gewusst, hätte ich mir eines gekauft?. Diese Werbung kursierte per E-Mail und im Internet. In zahlreichen Foren echauffierten sich erboste Menschen über die vermeintliche Geldgier des Konzerns.

Skeptischere Zeitgenossen ahnten es sofort: Das ist keine missglückte Werbeaktion, sondern einfach ein böser Scherz. Siemens reagierte schnell mit einem Dementi: ?Es handelt sich dabei um eine gefälschte Darstellung, die nicht von Siemens stammt und zu keiner Zeit Inhalt einer Werbekampagne des Unternehmens war. Siemens distanziert sich ausdrücklich von Inhalt und Form dieser geschmacklosen Darstellung?, ließ die Presseabteilung online wie offline verbreiten. Okay, aber es hätte auch anders sein können.

Seit größere Unternehmen nämlich die Macht des Guerilla Marketing (auch Viral oder Buzz Marketing genannt, siehe Kasten) erkannt haben, fällt es uns Verbrauchern schwerer zwischen verunglückter Kampagne, der Botschaft enthusiastischer Fans oder boshafter Fälschung zu unterscheiden. Schließlich nutzen alle die kostengünstige Methode, via Internet Werbebotschaften zu verbreiten. Und ein Webvideo in Gestalt eines TV-Spots ist billig und einfach zu produzieren, dank immer besserer Software-Tools.

Und seit seriöse Firmen die Kraft des humorvollen lässig-urbanen Bildstils nutzen, sind ?echte? Spots kaum noch von ironisch-zynischer Fake-Werbung zu unterscheiden. Manche Spots werden nicht im Auftrag des darin beworbenen Markenunternehmens hergestellt, oft genug aber von ihnen wohlwollend zur Kenntnis genommen. Beispiel Linux: Niemand stört sich daran, wenn in Animationen oder Zeichnungen der Pinguin auf Windows oder Bill Gates losgeht, außer natürlich Microsoft.

Small but tough

Online-Marketing an der Grenze

Small but tough

Sobald eine Onlinewerbung aber unternehmenskritisch oder geschmacklos wird, haben die Unternehmen ein Problem (www.boreme.com). Sie wollen zwar mit frechen Spots gerne das Image der Marke aufpeppen und sich jugendlich, modern und voll dem Zeitgeist verschrieben geben, aber andererseits können die Fakes recht schnell kompromittierend wirken. Abgesehen davon, dass der Konsument verwirrt und sogar sauer werden kann – siehe Siemens.

Ein positives Beispiel für Guerilla Marketing: Die Aktion ?Mixed Tape? von Mercedes-Benz. Es handelt sich hier um kostenlose Sammlungen von MP3-Songs (je 15), die sich jeder Surfer downloaden und auf CD brennen darf. Die Musikrichtungen: Jazz, Soul, Pop, Rock und HipHop. In den letzten acht Monaten sind fünf solcher Tapes entstanden und insgesamt 5,1 Millionen Mal gesaugt worden und das bei ca. 100 MByte pro File. ?Das positive Echo ist überwältigend?, freut sich Lothar Korn, Leiter Global Advertising bei Mercedes-Benz. Einige der Mixed-Tape-Künstler sollen sogar in der offiziellen Werbung des Konzerns eine Chance erhalten. Tape Nummer 6 kommt am 22. März. Weitere fünf Editions soll es 2005 geben (www.mercedes-benz.com und auf ?International? klicken).

So viel Glück hatte VW nicht, denn deren jüngster Fake-Spot wurde unautorisiert verbreitet. Lee & Dan, ein Freelancer-Duo aus London, entwickelte ihn und versorgte damit die Londoner Werbeagentur DDB Worldwide, die für VW tätig ist. Kurze Zeit später wird der TV-Spot angeblich
versehentlich
veröffentlicht. Nun konnte alle Welt bewundern, dass ein VW Polo nicht in die Luft fliegt, wenn ein arabischer Terrorist ihn als Autobombe missbrauchen will (?Polo: small but tough?).

Ein Sprecher von Volkswagen Deutschland behauptete, dass kein Auftrag über die Herstellung des Spots erfolgt sei. Doch da hatte dieser sich schon im Internet unkontrollierbar verbreitet und erfreut sich seitdem in diversen Weblogs großer Beliebtheit. Im vergangenen Jahr hatte sich schon Ford von einer Werbung distanziert, die eine sportlichere Version des Ka zeigt, die einer Katze mit dem automatischen Schiebedach den Kopf abtrennt.

Die Jamba-Lehre

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Die Jamba-Lehre

Der deutsche Handy-Dienstleister Jamba musste jüngst erleben, dass Viral Marketing auch umgekehrt funktioniert. Jamba ist allen durch schrille TV-Spots bekannt, bei denen es lauthals quakt, fiept und grölt, um den meist jugendlichen Kunden abgedrehte Handy-Klingeltöne schmackhaft zu machen. Mit dieser aggressiven Masche haben sich die Berliner offenbar viele Feinde gemacht, darunter wohl auch Deutschlands Blogger. Denen ist ganz aus Versehen ein PR-Coup gegen das Unternehmen gelungen: Der Berliner Johnny Häusler erläuterte in seinem Blog das Jamba-Geschäftsmodell (Spreeblick.de). Es laufe praktisch auf ein teures Abonnement hinaus.

Dass viele Minderjährige ihr Taschengeld an Jamba verlieren, wurmte offenbar nicht nur Johnny Häusler: Innerhalb von Stunden verwiesen unzählige Links auf den Bericht. In kürzester Zeit gelang der Blog-Community, wovon Vermarkter träumen: Die Jamba-Story landete ganz oben im Google-Ranking. Dann äußerten sich ein paar Jamba-Fürsprecher auf Häulers Seite. Blöderweise alle von einer einzigen IP-Adresse aus. Es waren Mitarbeiter des Unternehmens, was die Online-Debatte noch mehr anheizte.

?
PR-Blogger
? Klaus Eck interviewte Häusler und Jamba-Sprecher Tilo Bonow, zahllose andere kommentierten die Ereignisse, publizierten SMS-Selbstversuche. Selbst ausländische Netz-Bürger wurden aufmerksam und stellten übersetzte Zusammenfassungen ins Netz. Bei vielen Onlinern scheint Jamba nun ?unten durch? zu sein.
?Diese Geschichte ist ein Zeichen, dass die deutsche Blogosphäre eine kritische Masse erreicht hat?, meint Jan Schmidt, Kommunikationswissenschaftler an der Uni Bamberg. Etwa 40.000 sollen es hierzulande sein.

Tilo Bonows Ratschlag für betroffene Unternehmen: ?Es ist wohl am Besten: Kurz stillhalten und ducken, bis es vorbei ist?. Johnny Häusler konnte seine Stammleserschaft durch die Jamba-Geschichte etwa vervierfachen.

Buzzword-Glossar

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Buzzword-Glossar

Was ist Guerilla Marketing?
Die Theorie des Guerilla Marketing ist ein noch eher unerforschtes Gebiet. Insbesondere die Fülle an Begrifflichkeiten, wie z. B. Buzz Marketing, Ambush Marketing, Ambient Media oder Chat Attack sorgen für Verwirrung. Im Kern zielen die Aktionen darauf ab, wie ein Guerilla-Kämpfer Aufmerksamkeit zu erzeugen. Meist werden mit kleinem Budget ausgefallene, überraschende, originelle, und unterhaltsame Aktionen realisiert. In den 60ern benutzten es kleine Firmen im Kampf gegen überlegene Konzerne. Heute benutzt es jeder, wobei nicht alle Ideen automatisch erfolgreich oder billig sind.

Ambush Marketing
bezeichnet die Trittbrettfahrer und Schmarotzer unter den Werbenden. Beim Ambush (Hinterhalt) nutzen Unternehmen die Veranstaltungen und Events anderer zur Kommunikation, ohne selber Sponsor oder Ausrichter zu sein. Das Ziel besteht darin, sich selbst ins Rampenlicht zu setzen oder aber den Auftritt des Wettbewerbers zu schwächen.

Buzz Marketing
Diesen Begriff prägte der Amerikaner Mark Hughes, der das Dorf Halfway an der US-Westküste dazu brachte, sich in Half.com umzubenennen nach seinem gleichnamigen Internet-Startup. Die Wirkung in den Medien war gewaltig Hughes benutzte außerdem ungewöhnliche Flächen als Werbeträger: Taxifelgen, Boxershorts, Klopapier und die Rückseite der Botschaften aus chinesischen Glückskeksen. Ganz in der Tradition von ?Buzz? (engl. für Gerede, Begeisterung, Energie) sind die tatooartigen Werbe-Botschaften auf der ?gemieteten? Stirn fremder Leute.

Viral Marketing
ist die geplante und gezielte Stimulation von Kommunikation in sozialen Netzwerken, also Mundpropaganda, E-Mail-Kettenbrief oder SMS-Lawine. Bekanntes Beispiel ist das Spiel ?Moorhuhnjagd?. Aus dem kleinen Werbespiel wurde durch Büro-Propaganda schnell eine netzweite Epidemie. Heute wird Virales Marketing nicht mehr nur als reine Internetdisziplin verstanden, sondern gilt als Oberbegriff für eine Vielzahl von Techniken und Methoden, die zum Ziel haben, die Kommunikation der Kunden untereinander anzuregen: Online, Offline oder via Handy.

Weitere Infos:
Guerilla Marketing Portal

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