Outsourcing – Indiens IT als Lehre für Europa
Was wir vom größten Outsourcer Indiens lernen können
Outsourcing – Indiens IT als Lehre für Europa
Im Jahr 2003 wurde Tata Consultancy Services (TCS) der erste indische IT-Dienstleister, der ein jährliches Verkaufsvolumen von 1 Milliarde US-Dollar erreichte. 2005 konnte das Unternehmen seine Bilanz im Verlauf der ersten 6 Monate des Finanzjahrs weiter steigern und wird voraussichtlich mit einem 2-Milliarden-Jahresumsatz der erfolgreichste Anbieter des Subkontinents.
Die Entwicklung von TCS auf dem Aktienmarkt hat letztes Jahr in Mumbai eine ähnliche Euphorie ausgelöst wie Googles Aktiengewinne in New York. Es war der größte Börsengang eines Privatunternehmens in der indischen Geschichte: die Aktie war siebenfach überzeichnet.
Die Indische Erfolgsgeschichte auf dem IT-Markt geht also weiter, doch wie lange noch? Die Redaktion Computing, die wie PC Professionell und andere Magazine zu VNU Business Publications gehört, sprach mit Chef des indischen Marktführers.
Computing: Die Unternehmen wandten sich in den letzten zwei Jahren zunehmend Dienstleistern aus Übersee zu, die Abwehrhaltung gegenüber einer IT aus Indien scheint geschwächt. Wie kam es dazu?
Die Leute denken heute grundsätzlich anders über Indien. Man sieht Indien nicht mehr nur als ein Land, das am Outsourcing und im eigenen Land erbrachten Diensten interessiert ist. Vielmehr ist jetzt eine wachstumsorientierte Wirtschaft zu erkennen, mit einem jährlichen Wirtschaftswachstum von 8, 9 oder sogar 10 Prozent in den nächsten Jahren. Diese Aussicht eröffnet Firmen in anderen Ländern der Welt außerordentliche Möglichkeiten.
Als attraktiver Markt und als mögliche Quelle begabter menschlicher Ressourcen, von Forschung und Entwicklung bis hin zu IT-Diensten, wird das Land noch ein Stück interessanter.
Die Leute beginnen jetzt zu verstehen, wie die Konkurrenz über das Offshoring denkt, wie ihre Vorstände und Führungsriegen funktionieren, und man schätzt zum Beispiel die Bemühungen der britischen Regierung, mit Indien ins Geschäft zu kommen, anders ein als bisher.
Und die bereits vielfach vorhandenen britischen Kunden bringen deutlich zum Ausdruck, wo sie ihre Vorteile sehen. Man spricht die gleiche Sprache, auch das wirkt sich positiv aus.
Computing: TCS wächst extrem schnell. So stellt es beispielsweise jeden Monat fast 1000 neue Mitarbeiter ein. Wie wird das Unternehmen mit einem so dramatischen Wachstum fertig, ohne die bereits bestehenden Kunden zu vernachlässigen?
Das ist in der Tat die größte Herausforderung – und zugleich Chance. Wie bei jedem Betrieb ist das Aufstocken und die sich daraus ergebende Komplexität im Zusammenhang mit den betroffenen Menschen keine Kleinigkeit. Man braucht Personal, das in der Lage ist, mit den vielen Menschen umzugehen, dem es Spaß macht, mit ihnen zusammenzuarbeiten und sie zu fördern, zu betreuen und zu Kompetenz und Erfolg zu führen.
Kommunikation und Zusammenarbeit müssen sehr gut funktionieren, damit die Grundlage für Wachstum geschaffen wird. Man muss die Echtzeit-Technologie und Infrastruktur bereitstellen, um diese umfassende Aufgabe über die große Entfernung zu bewältigen.
Für neue Mitarbeiter haben wir ein eigenes Trainings-Center; die Aufgabe dort heißt, innerhalb von 52 Tagen nach ihrer Einstellung die “klassenbesten” Profis zu ermitteln. Dann wird man beobachten, wie diese sich bei der Übernahme eines Projekts bewähren, als Programm-Manager oder Projektmanager. Und es wird die Frage sein, wie wir beim HR-Management eine leistungsstarke Verwaltung erreichen, die fair, aktuell und messbar ist und in der Lage ist, auf neue Aufgaben rasch zu reagieren.
Wir beziehen auch die Familien unserer professionellen Mitarbeiter stark in die Organisation mit ein. Es ist uns wichtig, wie wir Wertesysteme, beruflichen Erfolg und Zusammenarbeit kommunizieren.
Wir sind auch in ständigem Kontakt mit den akademischen Ausbildungsstätten Indiens. Einmal im Jahr finden Workshops mit ihnen statt, in denen wir Schwierigkeiten ansprechen und artikulieren, wo es beim Nachschub qualifizierter Leute fehlt. Daran müssen wir immer arbeiten, das gehört zu den wichtigsten Aufgaben.
Computing: Worin sehen Sie die größten Hürden für ein fortgesetztes Wachstum?
Wir sollten uns nie auf den bereits errungenen Erfolgen ausruhen. Jeden Tag muss nach neuen Chancen und Möglichkeiten Ausschau gehalten werden. Man darf nicht so tun, als wüsste man bereits alles.
Wir müssen sehr sorgfältig auf unsere Kunden hören, auch auf potentielle Kunden. Selbstzufriedenheit wäre fatal. Die Leitlinien der Organisation heißen Kreativität und Innovation. Dafür müssen unsere Mitarbeiter Spielraum erhalten und gleichzeitig Verantwortung für ihr Handeln übernehmen, das müssen wir sicherstellen – das Tempo wird dabei von den Erfordernissen des Marktes vorgegeben.
Computing: Alle größeren IT-Dienstleister Indiens würden gerne als globale Anbieter gesehen werden. Was muss passieren, dass die Welt das Attribut “Indisch” fallen lässt?
Wir müssen noch entschieden mehr daran arbeiten, unseren Namen weltweit bekannt zu machen, und durch mehr Kundenorientiertheit dafür sorgen, dass unsere Ziele noch sichtbarer werden. Wir müssen auch noch klarer zum Ausdruck bringen, für was genau unser Unternehmen steht und auf welche Weise wir dort, wo wir operieren, unseren Beitrag leisten.
Der Börsengang hat unserem Namen allgemein mehr Aufmerksamkeit gebracht, und nun heißt es, die nächsten Schritte ins Visier zu nehmen, seien es nun weitere Übernahmen oder ein mehr organisches Wachstum.
Wir sollten unseren Blick auf alle Teile der Welt richten und Managementstrukturen einführen, die unseren Namen und unser Wertesystem jederzeit nach außen transparent machen.
Computing: In welchen Bereichen könnten Ihrer Meinung nach Übernahmen in Europa hilfreich sein?
Da gibt es einige. Im Bank- und Finanzsektor, und auf dem Versicherungsmarkt verfügt z.B. Großbritannien über beste Kompetenzen. Auch in der Energieversorgung steckt eine große Kapazität, mit viel Know-how auch in Deutschland.
Aber da gibt es ja nicht nur die Übernahmen. Wenn wir Joint Collaborative-Projekte starten können, das wäre ein guter Ansatz um herauszufinden, wie man die gegenseitigen Fähigkeiten nutzen kann. Wir müssen sehen, wo die Marktlücken sind und wo Märkte gerade neu entstehen, zum Beispiel bei den Umweltwissenschaften und im Gesundheitswesen sowie anderen einflussreichen Technologien wie RFID.
Computing: Was kann die europäische IT-Branche von der indischen lernen?
Das Erste ist der Drive und die Energie, das Engagement bei dem, was wir tun. Wir sind an einem Punkt unserer Geschichte, wo wir uns vom Rest der Welt unterscheiden können. Wir haben eine “Can-do”-Haltung. Das ist die enorme Energie und Kraft der Menschen unseres Landes.
Als Präsident Kennedy 1960 sagte, er plane in den nächsten 10 Jahren die Landung eines Menschen auf dem Mond, war das eine klar artikulierte Aussage. In ähnlicher Weise müssen Unternehmen bzw. die Menschen in diesen Unternehmen gemeinsam sagen, dass es die Vision dieses Unternehmens oder Landes ist, eine starke Rolle in der Wissensindustrie zu spielen.
Wir verfolgen leidenschaftlich das Ziel, einen Beitrag zur Gesellschaft und Gemeinschaft zu leisten, für unsere Firmen und für uns selbst.
Großbritannien erlebte die Ära Margaret Thatcher. Diese Frau wollte damals etwas verändern. Es wurde ein enormer Erfolg. Viele mussten auch unter ihr leiden – Leid gehört zu allem, was man tut -, aber die späteren Generationen profitieren vo
n solchen Entscheidungen und den Möglichkeiten, die genutzt wurden.
Die Leute unseres Landes wollen etwas verändern – und mit der uns eigenen “Can-do”-Haltung wird uns das auch gelingen.