Pro & Contra RAW-Formate
Fotografieren mit digitalen Negativen

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RAW-Format

Pro & Contra RAW-Formate

Fünfzehn Monate fotografierte Heiner K. bereits mit seiner Canon EOS 300D, als er sich das erste Mal mit diesem seltsamen Dateiformat namens RAW beschäftigte. Bis dahin hatte er nur festgestellt, dass es nur mehr Speicherplatz auf seiner CF-Karte kostete als JPEG. Als ihn ein Freund dann mit dem Stichwort »digitales Negativ« köderte, wurde er neugierig. Ein digitales Negativ? Eines, das man selber entwickeln kann und wo man sich nicht auf die Einstellungen der Kamera beschränken muss? Ein Abend intensiven Ausprobierens hat Heiner K. dann zum überzeugten RAW-Anhänger gemacht.

Unkomprimierte Bilder
Unbearbeitet, unverkürzt, eben »roh« das bedeutet RAW. Das Kürzel steht für eine von der Digitalkamera nicht verarbeitete Aufnahme, so wie sie aus dem Sensor kommt. Und in der Tat kann man digitale Negative mit einem belichteten, aber nicht entwickelten Film einer Analogkamera vergleichen.
Die RAW-Aufnahme enthält ein latentes Bild, das erst am PC durch Einstellen diverser Parameter in einer Konvertierungssoftware zu einem fertigen Foto in einem gebräuchlichen Dateiformat wird. Mit ein bißchen Kenntnis gelingt es dabei jedem, auf diese Art noch bessere Aufnahmen aus der Digicam zu holen, als dies mit JPEG-Aufnahmen der Fall ist. Zudem kann eine RAW-Aufnahme gegenüber den in allen Digitalkameras üblichen Aufzeichnungen mit JPEG-Komprimierung damit punkten, dass es ein verlustfreies Bilddateiformat ist und sich in ebenfalls verlustfreie Bildformate wie TIFF und EPS konvertieren lässt.

Nachbearbeitung

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Den Fotoenthusiasten freut noch mehr: Er kann mit der Belichtung, der Weißbalance und der Farbgebung spielen, den Kontrast nach Belieben abändern, Farben, Sättigung und Helligkeit einstellen und das alles, bevor das Bild entwickelt wird. Neben all diesen Aspekten der Bildoptimierung findet sich auch noch genügend Spielraum, der Kreativität freien Lauf zu lassen, so etwa bei Umsetzungen in Schwarzweiß. Auch dies kann eine gute RAW-Konvertierungssoftware allemal besser als die kamerainterne Bildverarbeitung. Last but not least: RAW-Aufnahmen lassen sich im Gegensatz zu Analogfilm mehrfach (und natürlich für unterschiedliche Ausgabezwecke) entwickeln.

Format für Profis
Neu ist das alles keineswegs. Das Rohformat gibt es eigentlich schon seit Jahren. Es fand zuerst bei Profifotografen Einsatz, die mit Studiokameras arbeiten und dafür digitale Rückteile anstatt Filmkassetten verwenden. Im Studio ist es dabei üblich, auf einem Kontrollmonitor, meist dem des angeschlossenen PCs, das Kamerabild zu kontrollieren und für die endgültige Aufnahme einzustellen. Seit derartige Bilddaten sich unbearbeitet speichern lassen, finden sich auch die entsprechenden Stellschrauben im Dateiformat, mit denen man die Aufnahme feinjustiert. Und dabei gibt es viel zu tun, denn eigentlich sind RAW-Aufnahmen Graustufenbilder. Der Grund dafür liegt im Aufbau des Bildsensors.

Bild: Digitales Negativ: Die RAW-Aufnahme ist ein unbearbeitetes Graustufenbild, dessen Helligkeitswerte durch die Farbfilter des Kamerasensors (verdeutlicht im Ausschnitt in der Vergrößerung) beeinflusst werden.

RAW-Konvertierung

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Der CCD- oder CMOS-Sensor der Kamera erkennt nämlich erst einmal gar keine Farben. Seine einzelnen Sensorelemente sind mit Farbfiltern bestückt und zeichnen pro Element nur einen Teil des Lichtspektrums als Graustufen- beziehungsweise Helligkeitsinformation auf. Jedes Sensorelement hat einen einzelnen Farbfilter, entweder für Rot, Grün oder Blau. Zusammen bilden die Farbfilter ein Mosaik. Aus diesem wird erst nach der Aufnahme (in der Kamera oder im RAW-Konverter) der Farbwert errechnet. Um für einen Bildpunkt die komplette Farbinformation zu erhalten, werden die gefilterten Helligkeitswerte der Nachbarelemente des Sensors herangezogen und aus diesen der vollständige Wert interpoliert.

Anpassung der Helligkeit
Doch das ist noch nicht alles, was bei der RAW-Konvertierung passiert, denn es muss auch noch die Helligkeit an unsere Sehweise angepasst werden. Digitalkameras erkennen das Motiv nämlich wesentlich dunkler als unser Auge, das auch noch sehr empfindlich auf Abweichungen von Weißtönen reagiert. Die Regelung der Weißbalance ist daher der dritte wichtige Punkt bei einer RAW-Konvertierung. Sind die Digicams schon mit ihrer Auto-Weißbalance im Vorteil gegenüber Analogfilm (bei dem man sich für eine Lichtart wie Tageslicht oder Kunstlicht entscheiden muss), so holt das RAW-Format noch bessere Ergebnisse heraus.

Bild:
Farbinterpolation: Aus diesem Negativ (das eigentlich ein zu dunkles Positiv ist) werden nun die Farbwerte der Bildpunkte errechnet…

Viele Formate

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Weil immer von »RAW« die Rede ist: Es gibt nicht ein Format, sondern viele. Sie heißen je nach Hersteller etwa NEF (Nikon), ORF (Olympus) oder CR2 (Canon). Teilweise gibt es sogar beim selben Hersteller verschiedene, je nach Modell. Und jeder liefert seine eigene, mehr oder weniger gute Konvertierungssoftware mit. Glücklicherweise stecken in allen Formaten in etwa die gleichen Steuerparameter, die ein Multiformat-RAW-Konverter nutzen kann. Solche Wandler, die sich auf mehrere Formatvarianten verstehen, sind als Freeware, Shareware oder Kaufprogramme erhältlich; insbesondere die kommerziellen Softwarelösungen sind meist besser als die Konvertermodule vieler Kamerahersteller.

Software für RAW
Unter den Profifotografen beliebt und verbreitet sind etwa die Programme Capture One DSLR von Phase One aus Dänemark oder DxO Optics Pro des französischen Anbieters DxO Labs. Auch der Platzhirsch unter den Bildbearbeitungsprogrammen, Photoshop CS von Adobe, kann mit einem guten RAW-Konverter für verschiedene Kameraformate aufwarten. Für Einsteiger und Semiprofessionelle noch besser geeignet ist der kleinere und weit günstigere Bruder Photoshop Elements 3.0. Momentan verstehen sich beide auf über 70 verschiedene Kameramodelle. Paint Shop Pro 9 von Corel kann ebenfalls mehrere RAW-Formate, ist aber im Funktionsumfang noch lange nicht gleichauf mit Adobe Camera RAW, dem Konverter von Adobe.

Bild: … die Helligkeit angepasst.

DNG-Spezifikation

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Standards erhofft sich indes das Publikum. Die hätten zum einen den Vorteil der Archivierbarkeit und zweitens würde sich die wirklich freie Wahl des geeignetsten RAW-Konverters eröffnen. Adobe hat im Frühherbst 2004 mit der DNG-Spezifikation einen Vorstoß unternommen und diese Eigenentwicklung als offenen Standard vorgeschlagen. Der Photoshop-Hersteller will dabei nicht die proprietären Dateistrukturen der Hersteller abschaffen, sondern bietet DNG (Digital Negativ Format) als Konvertier- und Archivlösung an.

DNG findet keine Freunde
Jedoch hat sich heute, ein knappes Jahr nach der DNG-Vorstellung, seitens der Hersteller wenig bewegt. DNG direkt aus der Kamera ist unter den Marktführern noch nicht einmal diskutiert, Unterstützung haben bisher nur Hasselblad und Leica angekündigt. Auf unsere Anfrage bei vier der großen Digitalkameraproduzenten (Canon, Fujifilm, Olympus und Nikon) gab keiner an, sein RAW-Format hinsichtlich der DNG-Konvention anpassen oder DNG direkt unterstützen zu wollen. Offiziell bekunden Olympus und Nikon keine Absichten, sich mit dem DNG-Format auseinanderzusetzen; »kein Kommentar« sind die Antworten von Fujifilm und Canon.
Die Gründe für diese Zurückhaltung liegen auf der Han
d: Keiner der Hersteller will sich von Adobe zu tief in seine eigenen Spezifikationen blicken lassen und so eigenes Know-how aus der Hand geben, erst recht nicht an eine Branchenmacht wie Adobe. Dem Photoshop-Entwickler und anderen Softwareanbietern bleibt so nur das legal mögliche ReEngineering der Steuerparameter in den RAW-Formaten, und das, meint ein Canon-Manager, sei nun mal schlechter als die eigenen Algorithmen.

Bild: Durch Regeln der Farbanteile und der Weißbalance entsteht schließlich das fertige Bild.

Neuerungen

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Argwöhnisch beobachten die Early Adopters, die bereits mit RAW-Bildern arbeiten, nun jede kleine Änderung und Neuerung. Und so sorgte schon Nikons Ankündigung, die Weißabgleichsinformation im NEF-Format seiner Spiegelreflexdigitalkameras der Profireihe zu schützen, für Aufregung in den einschlägigen Foren. Ein offenes, herstellerübergreifendes Format für digitale Negative steht nun ganz oben auf der Liste der Anwenderwünsche. Die Firmen sollten sich dies zu Herzen nehmen, denn der Geist ist nun mal aus der Flasche.

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Autor: swasi