Arbeitsmarkt: Absehbarer Mangel an qualifiziertem Technologie-PersonalFirmen droht eine IT-Krise
Extremer Mangel droht
Arbeitsmarkt: Absehbarer Mangel an qualifiziertem Technologie-Personal
Die verzweifelte Suche nach einem Job wird auch in den nächsten Jahren den deutschen Arbeitsmarkt kennzeichnen. Erst im nächsten Jahrzehnt werden demografische Entwicklung (kaum Nachwuchs) und der Anstieg von zu besetzenden Stellen (durch Pensionierungen) die Arbeitslosigkeit in Deutschland deutlich vermindern. Richtung 2020 erwarten Experten mindestens eine Halbierung der Arbeitslosenrate. Zu diesen Ergebnissen kommt auch eine aktuelle Langfristprojektion des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Trotzdem drohe die Gefahr, dass es bei immer noch hoher Arbeitslosigkeit schon bald zu einem Fachkräftemangel kommt, sind die Arbeitsmarktforscher überzeugt.
Alle Seiten warnen
Arbeitsmarkt: Absehbarer Mangel an qualifiziertem Technologie-Personal
Schuld an dieser Fehlentwicklung sei der seit Jahren anhaltende Stillstand der Bildungsentwicklung, meint die IAB-Studie. Zu schlecht vorgebildeter Nachwuchs könne in Kombination mit der abnehmenden Zahl jüngerer Arbeitskräfte schon bald zu einem extremen Mangel an qualifizierten Fachkräften führen. Dies gelte umso mehr, je geringer die Bereitschaft der Wirtschaft sei, bislang arbeitslose und ältere Arbeitnehmer zu beschäftigen.
“Die deutsche Wirtschaft verliert ihr wichtigstes Kapital: die Köpfe,” warnte vor kurzem schon Jürgen Gallmann, Geschäftsführer von Microsoft Deutschland vor einem “gravierenden Fachkräftemangel” für die hiesige Industrie. Schon jetzt könne der Bedarf an IT-Ingenieuren nur zu 80 Prozent gedeckt werden, deutsche IT-Unternehmen stellen daher bereits Absolventen aus dem Ausland ein. In naher Zukunft dürften bis zu 10.000 IT-Fachkräfte pro Jahr fehlen. Auf Dauer gefährde diese Entwicklung Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, warnte Gallmann.
Probleme an der Uni
Arbeitsmarkt: Absehbarer Mangel an qualifiziertem Technologie-Personal
Erschreckend: die hohe Zahl der Studienabbrecher im Fach Informatik. Jeder zweite Studienanfänger schließt das Studium nicht ab. Die Zahl der Erstsemester sank von 38.000 im Jahr 2000 auf unter 28.000 im letzten Jahr. Schon jetzt nehmen weniger deutsche Schulabgänger ein Studium auf als im OECD-Durchschnitt. Bei rund 50 Prozent Abbrecherquote verlassen künftig höchstens 14.000 Informatiker die Uni. “Spätestens ab 2008 wird die Nachfrage in den Unternehmen die Zahl der Absolventen deutlich übertreffen”, warnt Jörg Menno Harms, Vizepräsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (BITKOM). ITK-Firmen und IT-Abteilungen benötigen pro Jahr etwa 15.000 bis 17.000 Absolventen – den normalen Mittelstand noch gar nicht mitgerechnet. So eine Fehlentwicklung könne sich ein Standort wie Deutschland auf Dauer nicht leisten. Außerdem müssten die Studieninhalte erneuert und modernisiert werden, fordern auch andere Fachleute. Studium und Ausbildungsberufe sollten nach Marktanalysen des Düsseldorfer IT-Beratungshauses Harvey Nash möglichst breit angelegt sein. “Der IT-Nachwuchs darf sich heutzutage nicht zu stark spezialisieren. Sonst fehlen die technologiebegleitenden Prozesskenntnisse”, empfiehlt Regionalmanager Michael Zondler.
Spezialisten für besondere Systeme seien ausreichend verfügbar. Daher sollte die Qualifikation der Absolventen eines Studiums möglichst breit gefächert werden. “Eine Kombination aus Kenntnissen beispielsweise in Maschinenbau, Informatik und Betriebswirtschaftslehre ist ideal und eine sehr gute Voraussetzung für späteren beruflichen Erfolg”, weiß Zondler.
Doch es gelingt immer weniger, junge Menschen für einschlägige naturwissenschaftlich-technische Studiengänge zu begeistern. Zudem stagniert der Anteil weiblicher Informatik-Studenten seit Jahren bei 17 Prozent. In der Elektrotechnik und dem Maschinenbau liegt er sogar unter zehn Prozent. Auch hier erreicht die Abbrecherquote rund 50 Prozent.
Mittelstand trifft es eher
Arbeitsmarkt: Absehbarer Mangel an qualifiziertem Technologie-Personal
Wer über 2006 hinausblickt, sieht vor allem für die kleinen und mittleren IT-Betriebe einen bedrohlichen Fachkräftemangel. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat allein für den Mittelstand eine Lücke von 11.500 Ingenieuren ausgemacht. Etwa die Hälfte der freien Stellen in Forschung und Entwicklung könne der Mittelstand künftig nicht mehr besetzen, warnt eine repräsentative Studie des VDI.
“Laut unserer Untersuchung rechnen 57 Prozent der erfolgreichen IT-Unternehmen mit weiter steigendem Ingenieurbedarf. Wir haben eine Herkules-Aufgabe vor uns, diese große Anzahl an qualifizierten Ingenieuren zu beschaffen”, blickt VDI-Direktor Dr. Willi Fuchs sorgenvoll in die Zukunft. Vor allem der Mittelstand werde zu kämpfen haben, denn gute Absolventen zögen große Konzerne immer noch vor. Insbesondere kleinere Firmen im ländlichen Raum haben so ein Problem. Sie gelten schlicht als unattraktiv. “Dabei sind die Stellen im Mittelstand nicht unbedingt schlechter bezahlt, und die oft flachen Hierarchien machen das Arbeiten angenehmer”, wundert sich Ilka Houben, stellvertretende Leiterin der Abteilung Arbeitsmarkt bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Viele Arbeitnehmer glaubten aber, &bdquodass es bei Großkonzernen mehr Optionen zum Aufstieg gibt und man eher ins Ausland kommt&ldquo.
Doch die Hauptursache für Schwierigkeiten bei der Besetzung freier Stellen sieht auch Houben klar: Es gibt zu wenig qualifiziertes Personal. Viele Arbeitslose genügen den Ansprüchen nicht oder haben in Berufen gearbeitet, die nicht mehr am Arbeitsmarkt nachgefragt werden. Laut Statistiken der Arbeitsagenturen können fast 40 Prozent aller Arbeitslosen keine abgeschlossene Berufsausbildung vorweisen.
Lösungsansätze?
Arbeitsmarkt: Absehbarer Mangel an qualifiziertem Technologie-Personal
Was werden die Unternehmen in Zukunft tun? Frauen, Arbeitslose und ältere Mitmenschen einstellen? Genau dazu rät Dr. Fuchs, wenn er davon spricht, über “geeignete Alternativstrategien” nachzudenken. “Frauen werden gesucht”, glaubt Walter Börmann, Sprecher des Verbandes der Elektrotechnik (VDE) in Frankfurt. “Sie haben mindestens die gleichen Fachkenntnisse und dazu oft einen ausgeprägteren Teamgeist und bessere Kommunikationsfähigkeit.” Doch nur elf Prozent aller Absolventen aus den Ingenieurs-Studiengängen sind nach den Zahlen der Bundesingenieurkammer) weiblich.
Branchenbeobachter befürchten aber, dass es eher auf ausländische Fachkräfte oder die komplette Verlagerung von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ins Ausland hinauslaufen könnte. Bei einer Umfrage der Initiative D21 und der Beratungsfirma Accenture unter 70 führenden IT-Unternehmen hätten 30 Prozent angegeben, wegen des geringen Angebots in Deutschland Absolventen aus dem Ausland einzustellen.
“Mehr Studierende sind für das Land keine Last, sondern eine Chance gegen drohenden Fachkräftemangel”, forderte erst vor wenigen Tagen Bundesforschungsministerin Anette Schavan (CDU) in Potsdam zum Gegensteuern auf. Ähnlich sieht es Professor Dr. Thomas Vol
lmer von der Universität Hamburg: Wegen der nachhaltigen Änderungen durch Globalisierung, Ökonomie und Ökologie würden verstärkt qualifizierte Fachkräfte benötigt. Sorge mache ihm dabei, dass immer weniger Schüler den Übergang in eine Berufsausbildung schaffen. Einerseits, weil natürlich das duale Ausbildungssystem der Berufsschulen eng mit der Krise auf dem Arbeitsmarkt verbunden ist. Aber auch, weil die Handwerksberufe immer komplexer werden und die Anforderungen steigen. Das wiederum könne in Zukunft zu einem beträchtlichen Fachkräftemangel führen. Hier sieht er eine Chance für die angestaubten Berufsschulen, die ihre Lehrpläne schleunigst modernisieren, flexibilisieren und europäisieren sollten. Leider fehle für diese vielen Aufgaben ausgerechnet jetzt das qualifizierte Personal: (Fach-) Lehrermangel…
Initiative aus dem Osten
Arbeitsmarkt: Absehbarer Mangel an qualifiziertem Technologie-Personal
Ein Vorbild für eine Lösung findet sich in Ostdeutschland: Um dem drohenden Mangel entgegen zu wirken, beteiligen sich Thüringer Schulen an der “Bildungsinitiative Networking” des US-Unternehmens Cisco Systems. Dieses Programm bildet junge Menschen zu technischen Netzwerkassistenten aus. Der Freistaat Thüringen unterzeichnete Anfang des Jahres eine entsprechende Vereinbarung. Landeskultusminister Professor Dr. Jens Goebel bewertet dieses Engagement als gutes Beispiel für die partnerschaftliche Zusammenarbeit eines privaten Unternehmens mit der öffentlichen Hand.
Das Unternehmen hat im Rahmen dieser Bildungsinitiative einen Lehrplan und Unterrichtsmaterialien entwickelt, mit denen junge Menschen technisch fit gemacht werden. “In Deutschland werden bis zum Jahr 2008 über 20.000 Experten mit fortgeschrittenen Netzwerkkenntnissen fehlen”, umreißt Geschäftsführer Michael Ganser die Motivation von Cisco Deutschland.
Um dem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen, bietet der Netzwerkspezialist ein webbasierendes Ausbildungsprogramm für Schulen, Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen an. Derzeit nehmen bundesweit rund 25.500 Menschen in 320 Bildungseinrichtungen an dem Qualifizierungsprogramm teil.
Eine weitere Ost-Idee: Den Kontakt zu guten Leuten aufzubauen oder zu halten und sie später wieder in die Heimat zurückzulocken. “Im Jahr 2005 sind 51 Leute mit unserer Unterstützung zurückgekommen”, erzählt Sabine Ohse stolz. Sie ist die Projektleiterin der Internet-Agentur MV4you in Schwerin. Mecklenburg-Vorpommern hat mit der Abwanderung vor allem jüngerer, gut ausgebildeter Fachkräfte zu kämpfen. MV4you soll den Kontakt zu ihnen halten. Ohse: “Die Leute melden sich selbst bei uns. Meist ist Heimweh das Hauptmotiv.” 60 Prozent ihrer Kunden seien hoch qualifiziert, würden aber bei besseren Rahmenbedingungen gern nach Mecklenburg-Vorpommern zurückkehren – auch aus dem Ausland. Die Idee scheint zu zünden, denn in Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es bereits Nachahmer-Agenturen. So hat Christian Puppe von der Industrie- und Handelskammer (IHK) Dresden nebenher das Internet-Portal http://www.sachse-komm-zurueck.de/ aufgebaut. Träger ist der Firmenausbildungsring Oberland e. V. in Zittau, in dem 155 Betriebe der Region aktiv sind.
Das Bundesland Brandenburg wird vom gleichen Problem umgetrieben. Der frühere Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) warnte schon seit geraumer Zeit, der sich abzeichnende Fachkräftemangel sei “eines der wichtigsten Themen.” Für Brandenburg wollte Arbeitsministerin Dagmar Ziegler (SPD) ein Konzept vorlegen, wie dem drohenden Mangel qualifizierter Arbeitskräfte beizukommen sei. Denn Experten gehen davon aus, dass allein in der Mark binnen fünf Jahren 100.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt würden. Bis 2015 verdoppele sich der Bedarf sogar, hieß es. Erste Erfolge könne man mit Modellen der Einstiegsteilzeit für junge Leute oder Gründerwerkstätten vorweisen.
Auch im Westen mangelt es
Arbeitsmarkt: Absehbarer Mangel an qualifiziertem Technologie-Personal
Der Mangel an ausgebildetem Personal zeigt sich auch an den Universitäten und Fachhochschulen in den alten Bundesländern. So beklagt etwa Professor Klaus W. Jamin, Professor für Wirtschaftsinformatik an der FH München, dass sich die Zahl der interessierten Studenten in den letzten Jahren in den letzten Jahren rapide minimiert habe. Die Hochschule müsse sich also neue Konzepte ausdenken, um die Leute wieder zu motivieren. Entsprechende Pläne sollen demnächst besprochen werden.