Irreführendes IT-Marketing
Unbequeme Wahrheiten hinter der Dampfplauderei der Anbieter
Zweideutigkeit und Übertreibung
Irreführendes IT-Marketing
Vorige Woche habe ich völlig unbedarft ein Computermagazin durchgeblättert – als mir plötzlich blitzartig klar wurde, was diese Industrie heutzutage an Unsinn, Zweideutigkeit und Übertreibung zulässt. Man nehme zum Beispiel das Wort “Verfügbarkeit”. Dieser gängige Begriff ist eigentlich absolut bedeutungslos, wenn es sich um den Computerbereich handelt.
In der konventionellen Technik verwenden wir den Begriff “Zuverlässigkeit” (englisch: reliability) und bezeichnen damit ganz klare Größenwerte wie MTBF (mean time between failures – mittlere störungsfreie Zeit bei Festplatten) und MTTF (mean time to fail – mittlere Zeit bis zum ersten Ausfall) oder PFOD (probability of failure on demand – die Anzahl der Fehler die über einen gewissen Zeitraum hinweg akzeptiert wird). Solche Größenwerte haben eine unmittelbare Bedeutung – wenn ich beispielsweise die Aussage treffe, dass ein modernes Plattenlaufwerk einen MTBF von 1.000.000 Stunden hat (ca. 14 Jahre) würde man erwarten, dass es relativ selten ausfällt.
Im Gegensatz dazu mag es ja gut klingen, wenn ein System mit einer Verfügbarkeit von 99,99 Prozent angepriesen wird – aber in der Realität bedeutet dies dann eine Störung täglich, was im Grunde völlig hoffnungslos ist.
Leistungsverschlechterung mit positiven Worten dargestellt
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Wenn das System so konfiguriert wird, dass es doppelt so schnell bootet – z.B. durch Ausschalten der Festplattenüberprüfung – steigt die Verfügbarkeit auf 99,95 Prozent, aber das System stürzt noch immer einmal pro Tag ab. Mit anderen Worten bringt eine Verschlechterung wesentlicher Systemeigenschaften in Wirklichkeit eine Verbesserung der Verfügbarkeit mit sich. Deshalb wird von den Leuten das Wort Verfügbarkeit und eben nicht Zuverlässigkeit verwendet – es kann eine Vielzahl von Sünden kaschieren.
Die Systemprovider machen dies natürlich noch immer. Diese Woche fiel mir eine ganzseitige Werbeanzeige für den Microsoft SQL-Server 2005 ins Auge. Darin hieß es, dass “die größte Anwendung eines Kunden eine 99,999 prozentige Verfügbarkeit erfordere und die Anwendung auf dem neuen SQL-Server 2005 läuft”. Diese Aussage wurde mit einer mikroskopisch kleinen Fußnote versehen, die in weißer Farbe auf blässlichem Grund (ich musste eine Lupe dafür nehmen) verlauten ließ: “Die Ergebnisse sind nicht typisch…”.
Bedeutungsvermeidung – wachsam bleiben!
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Analysieren wir dies einmal aus drei verschiedenen Blickwinkeln. Erstens teilt Ihnen die Computer-Industrie auf diese Weise mit, dass das System so circa einmal in zwei Monaten abstürzt, was nicht gerade gut und wesentlich schlechter als z.B. bei Linux ist. Zweitens besagt dieser Satz, dass die Anwendung dieses Feature benötigt, nicht aber, dass der SQL-Server 2005 das auch bietet. Drittens erläutert die Fußnote, dass dies sowieso irrelevant ist – wahrhaftig ein glanzvolles Beispiel von prägnantem und informativem Gebrauch der Sprache. Würden Sie aber das Risiko eingehen zu investieren – mit derartigen Aussagen im Hintergrund?
Da konnte ich nur seufzend den Kopf schütteln und stieß geradewegs auf einen Artikel, in dem vom britischen Minister für Renten-Angelegenheiten verschiedene IT-Pläne für das Arbeits- und Rentenministerium (Department for Work and Pensions) ausführlich vorgestellt wurden. “Wir machen unseren Tätigkeitsbereich zukunftssicher mittels systematischem Leistungsvergleich mit der Industrie, um ebenso kostengünstig arbeiten zu können wie die führenden Industriebereiche.”
Weiß irgendjemand, was das bedeuten soll? Die Wörter sind alle in meinem Wörterbuch, aber diese Aussage reiht sie in einer solchen Art und Weise aneinander, als sollte jegliche echte Bedeutung vermieden werden.
An dieser Stelle liegt zum großen Teil der Hase im Pfeffer begraben. Viele Systemspezifikationen werden in einer vom Inhalt losgelösten Form wie oben beschrieben erstellt. Da kann man nur wieder einmal sagen: Holzauge sei wachsam!