Die Zukunft der Navigationssysteme
Kartentricks
Digitale Beifahrer
Die Zukunft der Navigationssysteme
Was ist wohl die bedeutendste Erfindung des letzten Jahrhunderts? Das Flugzeug, das Auto, der Computer? Viele ernst zu nehmene Experten tippen auf etwas ganz anderes: das Navigationssystem. Ein Grund für die große Beliebtheit ist, dass sich der Zweck von Navigationssystemen sofort jedermann erschließt: Mit Positionsinformationen aus dem All gefüttert, leiten uns die mit meist weiblicher Stimme sprechenden Digital-Beifahrer sicher ans Ziel der Autofahrt.
Den sündteuren Festeinbauten machten zu Anfang herkömmliche Pocket-PC- und Palm-OS-PDAs erfolgreich Konkurrenz. Bis die PDAs in jüngster Zeit selbst durch navigierende Smartphones und zuletzt dedizierte mobile Navigationsgeräte (PNDs) wie den TomTom Go aus den Verkaufshitlisten gedrängt wurden. So erwarten Marktforscher in den nächsten beiden Jahren bei den PNDs ein Wachstum von über 90 Prozent, wohingegen Festeinbauten voraussichtlich lediglich 13 Prozent zulegen werden.
Kartendarstellung in 3D
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Doch die Funksignale der GPS-Satelliten im All sind nur ein Teil des Erfolgskonzepts. Denn ohne Kartenmaterial würde der Fahrer lediglich Angaben in geografischer Länge und Breite bekommen, selbst für erfahrene Seeleute ist damit kein Ziel an Land auffindbar. Es spielt keine Rolle, ob ein Festeinbau, ein PDA oder ein PND ans Ziel leiten soll, ohne Kartenmaterial ist die Hardware zum Nichtstun verdammt. Umgekehrt kann aber auch der beste Algorithmus in der Navi-Software nichts glattbügeln, wenn die Karteninfos Schrott sind.
Um den Komfort in Zukunft noch weiter zu erhöhen, basteln mehrere Firmen, darunter auch Google im Zusammenspiel mit VW, an neuen Kartendarstellungen. Allen voran steht die 3D-Ansicht, die in den nächsten Jahren Einzug halten wird. Dann sieht der Fahrer seine Position nicht nur aus der Vogelperspektive auf dem Display, sondern bewegt sich quasi in Echtzeit durch die Straßenschluchten.
Und auch ein anderer Trend beeinflusst die Kartenhersteller Navteq und Teleatlas: Die Navigationssysteme verlassen das Auto und werden verstärkt von Fußgängern genutzt. Das stellt dann ganz neue Anforderungen an das Kartenmaterial.
Fahren, fahren, fahren
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Um an möglichst gute Karten zu kommen, hilft nur eines: Autofahren. Oder eben zu Fuß gehen, aber dazu später mehr. Die beiden genannten Kartenlieferanten beschäftigen große Teams in allen erfassten und zu erfassenden Ländern, die die Straßen abfahren.
Im Auftrag von Navteq sind alleine in Deutschland 70 so genannte Geo-Researcher unterwegs, die mit speziell ausgerüsteten Autos jährlich insgesamt über 2,5 Millionen Kilometer auf hiesigen Autobahnen, Landstraßen und in Innenstädten unterwegs sind. Zu den Besonderheiten der Fahrzeuge zählen hochpräzise GPS-Antennen, Notebooks für die Erfassungssoftware und eine Kamera an der Frontscheibe, die die ganze Fahrt aufzeichnet.
All das kostet eine Menge Geld: Teleatlas-Gründer Alain de Taeye sagt im Gespräch mit PC Professionell, dass sein Unternehmen bisher mehr als eine Milliarde Euro in die Kartenpflege investiert habe. Wobei Länder wie Deutschland, Frankreich oder die USA vergleichsweise leicht zu erfassen sind. Denn hier gibt es bereits digitales Kartenmaterial von Straßenbau- und Vermessungsämtern, das die Kartenfirmen kaufen können. Sie fangen hier also nicht ohne Grundlage mit einem weißen Flecken auf der Weltkarte an.
Die Arbeit der Geo-Researcher
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In Ländern wie Rumänien gibt es hingegen keinerlei verlässliche Kartengrundlage. Hier beginnen die Teams von Teleatlas und Navteq also im sprichwörtlichen Nichts. Navteq will mit zwölf Geo-Researchern binnen eines Jahres zumindest alle Autobahnen, Landstraßen und wichtige innerstädtische Verkehrsadern erfasst haben.
Doch auch wenn es eine ordentliche Basis gibt, gefahren werden muss trotzdem. Nur so sind Informationen wie Hausnummernverteilung, Anzahl der Fahrspuren, Position von Tankstellen, Autohäusern oder Restaurants (Points of Interest) sowie neuerdings auch Tempolimits und der Text auf Richtungsschildern in die Kartenrohdaten zu bekommen. Dazu setzen die Spezialisten während der Fahrt so genannte Shapepoints per Klick in die Karte. Das Navigationssystem wird später also anhand der Shapepoints erkennen, ob die gesuchte Hausnummer aus Fahrersicht links oder rechts ist.
Außerdem vermerken die Geo-Researcher bei ihren Fahrten, wie stark eine Straße gekrümmt ist. Das ist wichtig, damit das System später zwischen normalen Kurven, kein Sprachkommando, und scharfen Abzweigungen, Kommando erforderlic, unterscheiden kann.
Fahre und klicke
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Die Nachbearbeitung der erfahrenen Daten dauert mindestens so lange wie die Messfahrt selbst. Ein Tag auf der Straße bringt Geo-Researchern wie Arnulf Drechsler von Navteq Nacharbeit von zehn Stunden am Büro-PC. Dazu Drechsler: »Obwohl wir zu zweit im Auto sind, können wir während der Fahrt nur einen Teil der Daten exakt sammeln. Infos wie der Text auf komplexen Richtungsschildern sind erst in Ruhe im Büro anhand der Kamerabilder auswertbar.« Da die Teams mit flotten 50 Kilometern pro Stunde in der Stadt unterwegs sind, verwundert das nicht.
Es ist erstaunlich genug, wie viele Informationen erfahrene Geo-Researcher gleichzeitig erfassen können: Straßennamen, Straßenart (Autobahn, Bundesstraße und so weiter), Hausnummern, Tempolimits sowie Points of Interest wie Tankstellen oder Krankenhäuser.
Die Xbox lässt grüßen
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Möglich ist das dank der verschiedenen Eingabemöglichkeiten: Über ein Headset werden zum Beispiel Straßennamen gesprochen, während gleichzeitig mit dem Grafiktablett Notizen über das Tempolimit in die Karte gemacht werden. Dazu kommt als Mausersatz ein Controller der Xbox, da dieser mehr Knöpfe bietet. All die erfassten Informationen sind georeferenziert, das heißt, sie werden passend zu den jeweiligen Koordinaten in die Rohkarten gepackt.
Am Büro-PC werden dann alle gesammelten Infos verglichen und fest ins Rohmaterial aufgenommen. Welches der hinterlegten Attribute der Programmierer der eigentlichen Navigations-Software anschließend in sein Produkt übernimmt, bleibt ihm überlassen. So werden aus Platzgründen beim Erstellen einer Karte für PDA-Software viele Attribute unbeachtet bleiben, gilt es doch, ganz Deutschland in 256 MByte zu packen. Ob nun aber Infos wie die Anzahl der Fahrspuren oder die Lage der Burger-Restaurants draußen bleiben, darauf haben die Kartenersteller keinen Einfluss.
Was passiert, wenn Attribute fehlen oder falsch ausgewertet werden, verdeutlicht die gerne erzählte Geschichte aus der Frühzeit der Festeinbauten: Ein BMW-Fahrer versenkt seine Karosse zielsicher in der Havel, weil ihm das System eine Brücke anzeigte, wo keine war. Richtig wäre gewesen, hätte die Karte ihm eine Fährverbindung statt der Brücke angezeigt. Da das Attribut »Fähre« unbekannt war und das Schiff auch nicht zufällig am Anleger wartete, kam es so zum bekannten nassen Ende der Geschichte.
Lesen, fragen, umschauen
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Fahren die Kartenmacher eigentlich ständig quer durchs Land, um unerfasste Straßen zu entdecken? »Nein, das tun wir natürlich nicht«, antwortet Bettina Hering von Navteq. »Das wäre extrem ineffizient und zeitlich ohnehin nicht machbar.« Die Geo-Researcher fahren vielmehr gezielt los und erfassen Neues.
Das Wissen, wo es etwas Neues in Sachen Straß
en gibt, holen sie sich aus staubtrockener Lektüre wie den Gemeindeanzeigern von Ortschaften. Hier wird jede Bordsteinabsenkung und jeder neue Kreisverkehr textlich gewürdigt. Extrem langweilig, aber als Recherchegrundlage unverzichtbar. Darüber hinaus dienen zum Beispiel Call-Center von Autobauern oder Hotelketten als wertvolle Informationsquelle. Denn so können aktuelle oder geplante Standorte der Points of Interest erfragt oder verifiziert werden.
Auch Krankenhäuser werden abtelefoniert oder angefahren. Denn Rettungsdienste haben eigenes Kartenmaterial, in dem zum Beispiel die Lage der Notaufnahmen verzeichnet ist, so dass im Notfall keine Krankenhaus-Umrumdung erforderlich ist.
Der Amtsschimmel hilft
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Außerdem halten die Mitarbeiter der Kartenfirmen engen Kontakt zu Straßenbauämtern und erfahren so frühzeitig von neuen Bauprojekten. So kann ein neues Stück Autobahn rechtzeitig in die Karten aufgenommen werden, selbst vor der Öffnung für den normalen Verkehr. »Nach 18.00 Uhr wird auf solchen Baustellen selten gearbeitet und es soll schon vorgekommen sein, dass Kollegen nach Baustellen-Dienstschluss das frische Stück Straße befahren haben«, erzählt ein Mitarbeiter einer Kartenherstellerfirma augenzwinkernd.
Da die Geo-Researcher immer im gleichen Teil des Landes eingesetzt werden, haben sie oft umfassende Ortskenntnis. Dadurch können sie auch mit Hilfe ihrer offenen Augen auf neue Straßen stoßen: Steht irgendwo ein Baukran oder fallen anderswo frische Dachziegel ins Auge, wo vorher keine Neubauten standen, verlangt das nach einer Befahrung. Denn zumindest eine Hausnummer gilt es dann neu zu erfassen.
Und was kommt morgen?
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Wie eingangs erwähnt, sind 3D-Karten der letzte Schrei. Allen voran will Google die von Google Earth gewohnte Optik auch in Auto-Navigationssysteme bringen. Wann und ob die Suchmaschinenspezialisten zusammen mit dem Autobauer Volkswagen so weit sind, bleibt vorerst deren Geheimnis.
Aber auch Teleatlas arbeitet intensiv an dreidimensionalen Karten. Dazu fährt ein mit Stereokameras ausgerüstetes Wohnmobil durch die Städte und macht Aufnahmen der Häuserfronten. Diese können später als Textur im Navigationssystem für eine realistischere Optik sorgen. Um diesen Effekt auch auf schlankeren Navigationssystemen zu ermöglichen, Rechenleistung und Speicherplatz sind ja schließlich endlich, kann auf Texturen im JPEG-Format verzichtet und stattdessen mit Informationen wie »blaue Front, zwei Stockwerke« eine halbwegs realistische Ansicht gebaut werden.
Virtueller Stadtführer
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Bei Festeinbauten und auch PNDs spielen Speicherplatz und CPU-Power dank eingebauter Festplatten und schneller Prozessoren keine Rolle. Die Zukunft liegt aber bei wirklich portablen Geräten, die den Autofahrer auch nach dem Verlassen des Autos begleiten. Das erfordert einerseits schlanke Geräte, andererseits aber auch neue Karten. Fußgängerzonen sind in aktuellen Karten schlicht überhaupt nicht erfasst. Genauso wenig wie nicht befahrbare Plätze, die von den Systemen wie Gebäude behandelt werden. Diese Orte können wohl nur von laufenden Geo-Researchern in die Karten integriert werden.
Denkbar sind mit solchen speziellen Karten in Zukunft Anwendungen wie der virtuelle Stadtführer, den Teleatlas ausgewählten Testern in einer nicht-kommerziellen Demo vorführte. Das Programm kann Städtebesuchern eine Fußgängertour entlang den interessantesten Sehenswürdigkeiten zusammenstellen, ausgehend vom aktuellen Standort und mit einem vorgegebenen Zeitrahmen. Auf Wunsch werden Stops in Cafés eingeplant.
Sehenswürdigkeiten in 3D
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Vor der jeweiligen Sehenswürdigkeit liefert die Anwendung dann alles Wissenswerte rund um die Attraktion. Das Demoprogramm glänzte hier mit dreidimensionalen Ansichten von Bauwerken, die vom Anwender in alle Richtungen gedreht werden konnten. So wird der gedruckte Stadtführer in Rente geschickte.
Denn der glänzt sicher nicht mit Anweisungen wie »Bitte gehen Sie die Treppe links hinunter und durchqueren Sie dann den Fußgängertunnel. Danach haben Sie den Buckingham Palast erreicht«.