Der PC als neue DampfmaschineInterview: Die IT ist für das “Große” Informationszeitalter gerüstet

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In 15 Jahren hat jedes Molekül eine IP-Adresse

Der PC als neue Dampfmaschine

Thornton May, Futurist und Direktor der “IT Leadership”-Akademie in London, findet den Gedanken “IT doesn’t matter” von Nicholas Carr aus der “Harvard Business Review”, der in den letzten Jahren in der Geschäftswelt umging, vollkommen falsch. Grund genug für die britischen Kollegen von der IT Week, den Vordenker zu befragen.

IT Week: Welchen Sinn hat es, die Zukunft der Technologie zu untersuchen?

Thornton May: Der IT-Futurismus ist wichtig, weil das Tempo beim Technologiewandel die Triebkraft für die gesellschaftlichen Veränderungen darstellt. Dabei gibt es in der IT drei Haupttriebkräfte: Das Moor’sche Gesetz, auf dessen Basis sich die Rechenleistung alle 18 Monate verdoppelt; die Regel, dass sich die Speicherkapazität alle 12 Monate verdoppelt und die Tatsache, dass sich die Kapazität der Bandbreite alle neun Monate verdoppelt. Dies sind exponentielle Trends und für den menschlichen Verstand ist es schwer, exponentielle Veränderungen zu begreifen. Betrachtet man diese Trends aber über einen Zeitraum von 15 Jahren – was in den Fachbereichen Wirtschaft der Universitäten Berkeley und Los Angeles vor Kurzem gemacht wurde – wird man feststellen, dass wir 15 Jahre davon entfernt sind, um jedes Molekül auf diesem Planeten mit einer IP-Adresse zu versehen. Wir stehen am Scheitelpunkt der größten und für unser Leben einflussreichsten Technologie-Expansion seit der Erfindung des Feuers.

Was bedeutet diese Erweiterung der Rechenleistung in der Praxis?
Ein traditionell ausgebildeter Wirtschaftswissenschaftler würde sagen “sie erweitert die Produktionsmöglichkeiten”. Im Klartext heißt das, man kann mehr bewerkstelligen. Wir leben nicht mehr in einer Mangelwirtschaft sondern in einer Überflusswirtschaft – wir treten in das “Große Informationszeitalter” ein. Im “Kleinen” Informationszeitalter von 1995 bis 2005 haben wir uns alle das handwerkliche Rüstzeug für den Umgang mit dem Web angeeignet und gelernt, all diese Informationen zu digitalisieren. Im “großen” Informationszeitalter wollen die Menschen, mit diesen Informationen etwas tun. Man stellt dies schon heutzutage bei der Gesetzgebung fest – wie beim Sarbanes-Oxley Act (http://de.wikipedia.org/wiki/Sarbanes-Oxley_Act),
der von globalen Unternehmen die stärkere Nutzung dieser digitalisierten Informationen fordert.

In den Annalen der Geschichte wird man Sarbanes-Oxley als Gaspedal auf dem Weg der Menschheit zur digitalisierten Welt betrachten – auch wenn das Gesetz derzeit noch viele nervt.

Marketing und IT wachsen zusammen

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Was bedeutet dieses “Große” Informationszeitalter für Unternehmen?
Ein großer Vorteil wird beim “Permission Marketing” zu verzeichnen sein – ein Gedanke, der kürzlich in Seth Godins Buch gleichen Namens Eingang fand. Bei diesem “Erlaubnismarketing” betrachtet man das ganze Marketingspektrum: Von unerwünschtem Spam bis zu “intravenösem” Marketing, welches besagt, dass man wie beim Arzt seinem Lieferanten so stark vertraut, dass er einem alles geben und alles berechnen kann und man immer noch ein gutes Gefühl dabei hat, weil er die Erlaubnis des Kunden dafür hat. Dort geht die Reise hin und die einzige Möglichkeit, gutes “Erlaubnismarketing” zu erreichen, wird von einem fortschrittlichen, differenzierten, hoch vertrauenswürdigem, hochzuverlässigem und unglaublich innovativen Informationsmanagement geboten.

Können die Firmen Informationsmanagement und Analytiksysteme verwenden, um solches Permission Marketing zu erreichen?
Ja. Im Moment stellen die meisten Firmen Vermutungen darüber an, was ihre Kunden wollen, und das Marketing verläuft einfach nach den vier Ps: Product, Place, Price und Promotion (deutsch auch: Produktpolitik , Preispolitik, Distributionspolitik, Kommunikationspolitik). Aber jetzt verändern sich die Gewohnheiten der Kunden und die Firmen müssen stattdessen auf die drei Cs schauen: Communication, wobei die E-Mail die Kosten für Kundenansprache drastisch gesenkt hat verglichen mit teurer Werbung und preisintensivem Marketing; “Customisation” (kundenspezifische Anpassung), wobei der Kunde einer Nachricht nur dann sein Ohr leihen wird, wenn sie für ihn wichtig ist; und “Collaboration” (also Zusammenarbeit), wobei der ganze Bereich des Produktmarketings wegfällt, weil der Kunde mithilft, die nächsten Produkte mitzuentwickeln. Man braucht aber die IT und das Informationsmanagement, um diese drei Cs zu erreichen. Als Folge wird sich die nächste bedeutende Verflechtung im Unternehmen zwischen Marketingchef und IT-Chef vollziehen.

IT’ler werden zu Daten-Analysten

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Wie weit sind wir noch von diesem Ziel entfernt?
Es passiert bereits. Die PC-Hersteller der alten Schule haben nur geraten, was ihre Kunden wollen. Heute können sie den Kunden sagen lassen, was er will und eine zeitnahe Beschaffungsstrategie anwenden, um das Gerät zu bauen. Das geht nur mit offenen Kommunikationskanälen zu den Kunden und einer innovativen Lieferkette – beide fußen auf Informationsmanagement und Analytik.

Der Wettbewerb wird diese Entwicklung auf alle Bereiche ausweiten.
Firmen, die diesen Übergang zur Analytik vollziehen, werden überleben und sowohl vom Markt als auch den staatlichen Organen belohnt werden. Leute, die Vermutungen anstellen und sich auf Zahlenspiele einlassen, haben keine Chance zu überleben. Das ist purer Darwinismus.

Wie sollte die IT-Abteilung diesen Wandel in die Praxis umsetzen?
In jedem größeren Unternehmen gibt es analytisches Potential, das bislang noch nicht auf die Unternehmens- und IT-Strategie abgestimmt ist. Jeder erfolgreiche IT-Chef muss diese analytischen Systeme in Einklang bringen. Wenn man schnell auf die Informationen zugreifen kann, ohne Probleme mit dem Datenschutz zu haben, und wenn man sie genauso schnell überprüfen und auswerten kann, dann ist die IT richtig aufgestellt. Zuerst müssen die analytischen Quellen im Unternehmen überhaupt erfasst werden, um dann herauszuarbeiten, wie sie zusammenspielen können.

Science Fiction für IT-Abteilungen

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Wo, außer in der Unternehmenswelt, wird sich die Fähigkeit manifestieren, mehr Informationen zu verwalten?
Die “Killerapplikation” wird sicher eine gute Informationsverwaltung sein: Man lebt länger, wenn man seine Informationen besser verwaltet. Es wird viel über die Konvergenz zwischen den Telekommunikationsunternehmen und der IT geredet, aber echte Konvergenz passiert eigentlich zwischen der IT und der Biologie. Nano-Geräte werden so ausgereift, klein, schnell und billig sein, dass wir alles überwachen können. Am Morgen wacht man auf, und anstatt die Überschriften in der der Zeitung zu überfliegen, kann man die Message lesen “Sie haben sich gehen lassen, machen Sie ein paar Muskelübungen” oder “Nehmen Sie etwas Kalium”. Die Informationen werden für Sie verfügbar sein. Zum jetzigen Zeitpunkt liegt die Medizin erschreckende und selbst eingestandene 25 Jahre hinter der Technologiekurve zurück aber wir können uns in Richtung Präventivmedizin bewegen, wenn wir eine Art Instrumententafel mit Business Intelligence (BI) für unsere Gesundheit nutzen.

Das hört sich alles etwas nach Science-Fiction an
Vielleicht, aber es ist kein allzu großer Schritt. Unter den Analytik-Anwendungen ist zurzeit leider der Unterhaltungssektor der große Hit, wo unvorstellbare Mengen an Geld verpulvert werden, um das zu trivialisieren, was technisch möglich ist (also die Inhalte der Unterhaltungsmedien auf jeden persönlich abzustimmen). Aber medizinisches Informationsmanagement kann exakt die gleichen Prinzipien anwenden und die Menschen besser
in den Prozess einbinden. Das alle hat das Potential, wirklich die Art und Weise zu verändern, wie sich die Spezies Mensch auf diesem Planeten entwickelt.

Was bedeuten diese Veränderungen für die IT-Industrie als Ganzes?
Sie bedeuten, dass Nicholas Carr (Autor von “IT Doesn’t Matter”) unrecht hat. Der Gedanke, dass die IT keine Rolle mehr spielt, könnte nicht abwegiger sein – wenn jedes Molekül auf diesem Planeten über eine IP-Adresse verfügen und Informationen aussenden kann, ist das doch verdammt viel Arbeit für die IT. Wir sind am Scheitelpunkt zu einem großen Technologie-Boom!

Kluge CIOs und der Autor

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Viele IT-Chefs mögen behaupten, das man davon häufig nicht viel merkt?
Die Krux ist, dass die IT-Chefs in den Unternehmen nicht geachtet werden, weil man denkt, dass sie langweilig und ohne jegliche Strategie seien. Das trifft aber nicht auf alle IT-Chefs zu. Wir haben 15.000 Firmen auf der ganzen Welt untersucht und 16 % der IT-Chefs und IT-Abteilungen sind Weltklasse, 23 % sind gut und 61 % liegen im Durchschnittsbereich. Es gibt große Unterschiede. Im Grunde spielt für 61 % der Unternehmen die IT offensichtlich keine große Rolle. Aber kluge Firmen planen schon jetzt die massive Erweiterung ihrer Rechenkapazität und fragen sich: Was können wir damit tun? Die Antwort ist klar: Alles über ihre Firma und alles über ihre Kunden wissen.


Über Thornton May
May ist “Futurist” und Sprecher sowie verantwortlicher Direktor und Dekan der IT Leadership Academy. Bild: VNUNet.com

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