Wie Microsoft eine Wired-Geschichte schreiben ließ
Um “radikale Transparenz” sollte es gehen, und die inzwischen erschienene “Wired”-Ausgabe zeigt eine noch gut angezogene Dame, die ein großes Plakat vor sich hält mit der Aufschrift: “Mach dich nackt …” In einem weiteren Bild ist das Business-Kostüm verschwunden, während der Plakattext ergänzend fortfährt mit “… und beherrsche die Welt”.
Und so bewirbt Wired die Geschichte: “Smarte Firmen teilen Geheimnisse mit Konkurrenten, sie bloggen über kommende Produkte, geben sogar eigene Fehlschläge zu. Der Name dieses neuen Spiels heißt RADIKALE TRANSPARENZ, und es rauscht durch die Vorstandsetagen des Landes.”
In der Fallstudie Fred Vogelsteins geht es dabei insbesondere um die Blogging-Initiative Microsofts. Statt die eigenen Botschaften nur durch Pressemeldungen in die Welt zu schleudern, verfügen die Borg inzwischen über 3.500 Blogger, die für eine “authentische Konversation” zwischen Firmenangestellten und Kunden sorgen sollen.
Doch wie sie bei Microsoft eben drauf sind, wollen und können sie so etwas niemals dem Zufall überlassen – authentisch hin, transparent her. Das ging jetzt aus einer Akte hervor, die Microsoft und die beauftragte PR-Agentur Waggener Edstrom über genau diesen Journalisten führte. Durch ein wunderliches Versehen erhielt Fred Vogelstein die über ihn geführte Akte und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Vogelstein berichtet nun in seinem eigenen Blog, wie ihn die 5.500 Worte seiner Geheimakte trafen. Ein wenig verletzend empfand er offenbar, dass er als Interviewer nach 20 Jahren journalistischer Tätigkeit als eher umschweifig und langatmig charakterisiert wurde, auch wenn sich seine eigene Frau schon immer über diese Eigenschaft beschwert hatte. Seine möglichen Gesprächspartner bei Microsoft wurden vorgewarnt: “Er braucht ein bisschen lange, um sich verständlich zu machen – man sollte also versuchen, geduldig zu bleiben.”
An sich überraschte Vogelstein nicht, dass es eine solche Dokumentation über ihn gab. Es ist offenbar nicht unüblich, dass sich Firmen gut auf Interviews mit den eigene Mitarbeitern vorbereiten. Doch selbst ihn überraschte, mit welchem Aufwand Microsoft sich hier bemüht hatte, alle Fäden in der Hand zu halten und seinen Wired-Artikel in die richtige Spur zu bringen:
“Es war seltsam zu sehen, wie viele Ressourcen sie gegen mich aufgestellt hatten, als ich eine Geschichte über Microsoft schrieb.”
Vogelstein durfte mit Managern reden, sie im Januar auf der CES begleiten. Doch im Hintergrund, so erfuhr er durch das Dossier, waren fast ein Dutzend weitere Personen mit seiner Geschichte beschäftigt:
“Sie schrieben die von mir geführten Interviews nieder; andere machten sich Notizen über jede meiner Äußerungen, um Hinweise zu bekommen, was ich als nächstes fragen würde oder am Ende in meiner Reportage stehen könnte; andere bereiteten Manager durch Fragen vor, die ich gestellt hatte, und schlugen gute Antworten vor.”
Vogelstein fragt sich seit der Lektüre seiner Akte, ob seine Erfahrung mit Microsoft nicht etwa “ihr Endspiel war”. Sechs Monate lang hatten die Borg-Propagandisten systematisch daran gearbeitet, Wired zu einem Artikel über Microsofts Video-Blogging-Initiative Channel 9 zu bringen und hatten sogar drei Manager zu einem Treffen mit den Redakteuren des Magazins geschickt, um den Köder auszuwerfen. Nachdenklich fragt sich der Schreiber schließlich in seinem eigenen Blog:
“Sollte ich mich geschmeichelt fühlen, weil sie so hart gearbeitet haben, oder sollte es mir peinlich sein, dass ich mich in ihre PR-Maschine habe einspannen lassen? Ich möchte gerne annehmen, dass ich die gleiche Geschichte in jedem Fall geschrieben hätte. Aber jetzt, durch das Wunder der Transparenz, können Sie, der Leser, auch darüber entscheiden.”
(bk)