Der Kinderporno-Fehlschlag oder Wie die Operation „Himmel“ abstürzte
Insbesondere ein Oberstaatsanwalt aus Sachsen-Anhalt zog die große Show ab, als hätte er einen riesigen Erfolg im Kampf gegen die Kinderpornografie erzielt. Doch nachdem die Nebelkerzen erloschen sind und sich das Bild allmählich klärt, bleibt nur der Skandal einer ausufernden Rasterfahndung übrig, die nichts gegen die wirklichen Kinderpornografen auszurichten vermochte. Das erinnert an die Aktion „Mikado“, bei der 22 Millionen Kreditkartenrechnungen überprüft und daraus schließlich 322 Verdächtige herausgefiltert wurden. Unterschiedlich gestaltet sich allerdings, wie sich die Staatsanwälte und Ermittler in den einzelnen Bundesländern aus der Affäre zu ziehen versuchen.
Anlass der Aktion „Himmel“ war die Meldung eines Berliner Internet-Providers, er habe kinderpornografisches Material auf einem Server entdeckt, und das Landeskriminalamt Berlin übernahm. Berichten zufolge soll es die Strato Medien AG gewesen sein, was die Firma jedoch bestreitet. Dabei handelte es sich aktuellen Erkenntnissen zufolge jedoch vor allem um noch legale Angebote, so genannte „Posing-Bilder“: Nacktaufnahmen von Kindern, die dem Bundesgerichtshof zufolge in der Regel nicht als Kinderpornografie gelten. Unter diesen grenzwertigen bis empörenden, aber nach geltender Rechtslage nicht illegalen Bildern sollen sich auch tatsächlich kinderpornografische Bilder befunden haben, wie zumindest einige Ermittler sagen. War zunächst davon die Rede, 160 von 500 verschiedenen Bildern seien strafrechtlich relevant, ging die Zahl inzwischen drastisch zurück auf 29, während einige Ermittler nur noch von 6 oder 7 ausgehen und die Kölner Staatsanwaltschaft sogar von null: „Die Bilder, die wir gesichtet haben, erfüllten nicht die gesetzlichen Voraussetzungen, um als Kinderpornografie zu gelten.“
Wie der Kölner zuständige Staatsanwalt informierte, hielten sich den ausgewerteten Logs zufolge viele der in Verdacht geratenen Besucher nur für Sekunden auf der Seite auf und seien daher „möglicherweise aus Versehen“ dorthin geraten. Er stellte die 500 Ermittlungen in seinem Zuständigkeitsbereich daher restlos ein. Es sei fast nichts herausgekommen außer einem „irren Verwaltungsaufwand“, kommentierte ein westfälischer Ermittler.
Die Staatsanwälte in anderen Bundesländern aber machen teilweise unbekümmert weiter. Sie spucken noch immer große Töne und lassen leicht zu beeindruckende Lokalblätter wie das “Hamburger Abendblatt” von ihren großen Erfolgen künden. Sie nehmen es als Grund für weitere Ermittlungen, wenn jemand ein Posing-Bild betrachtet hat. Teilweise sehen sie sich offenbar an, wie lange die Besucher der Seite was angesehen haben: „Wer sich solche Bilder über einen längeren Zeitraum anschaut, der hat ein weitergehendes Interesse.“
Also Hausdurchsuchung, Computer mitnehmen, vielleicht ist ja doch was zu finden. Allein aus dem fränkischen Ingolstadt wurde von 22 durchsuchten Wohnungen und 54 einkassierten PCs sowie weiteren Festplatten und optischen Medien berichtet.
Zeit, sich den bundesweit eingesammelten Kram überhaupt anzusehen, hat die Polizei aber gar nicht. Sie befördert ihn daher bevorzugt zu externen IT-Firmen, die sich darauf spezialisiert haben. In Bayern geschehen die Auswertungen fast ausschließlich durch vier im Freistaat beheimatete IT-Dienstleister.
Das kann nicht unbedingt Vertrauen einflößen, seit dem Max Strauß seine Festplatte damals bei einem privaten Sachverständigen verschwand. Der Chef der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg, schrieb der privatwirtschaftlichen Auswertung ein höheres Risiko der Korrumpierbarkeit zu.
Das Landeszentrum für Datenschutz in Schleswig-Holstein sieht „nicht unbedingt seriöse Unternehmen“ in diesem Bereich. Es wäre nicht einmal auszuschließen, dass dabei ausgerechnet die Leute engagiert würden, die die Polizei eigentlich bekämpfen wolle. Selbst Verschleierung sei zu befürchten. Helga Schmitt-Bussinger, innenpolitische Sprecherin der bayerischen SPD: „Sensibelste Bereiche wie die Aufklärung von Kindesmissbrauch gehören nicht in private Hände.“ Es fördere vielmehr das Risiko, dass diese Materialien in falsche Hände gelangten.
Eine Erfolgsstatistik der Operation „Himmel“ gibt es noch nicht. Eine Aufstellung der Kosten ebenso wenig, und es wird sie kaum jemals geben. Es zeigt wieder einmal, wie wenig die massenhafte Rundum-Verdächtigung und Online-Schleppnetzfahndung bringt – auch wenn sie eine breite Öffentlichkeit bereitwillig hinnehmen sollte, sobald Stichworte wie Terror und Kinderporno den Vorwand liefern.
(bk)