Hätte WikiLeaks Osama Bin Laden fast gerettet?

Eine Akte aus dem Gefangenenlage Guantanamo wurde der New York Times und anderen Medien am 24. April, also eine Woche vor der Tötung Bin Ladens, zugespielt. Darin geht es um das Verhör von Abu al-Libi, einem engen Vertrauten von Bin Laden, den der Chef des Terrornetzwerks Al Kaida als Kurier einsetzte, um mit Verbündeten in Kontakt zu bleiben. Der gebürtige Libyer habe demnach im Juli 2003 einen Brief von Bin Laden erhalten, in dem gebeten er worden sei, sich unter anderem um die Verteilung von Mitteln an Familien in Pakistan zu kümmern. Daraufhin habe der Gefangene den Wohnort seiner Familie nach Abbottabad verlegt, heißt es in dem Dokument. Dort wohnte auch Bin Laden bis zu seiner Erschießung am Sonntag.
Da WikiLeaks diese Informationen veröffentlichte, hätte auch Osama Bin Laden davon Notiz nehmen können. Möglicherweise hätte er seinen Aufenthaltsort gewechselt, wenn er erfahren hätte, dass die USA Hinweise auf seinen Verbleibt haben. Damit wäre die jahrelange Geheimdienstarbeit der Amerikaner vermutlich vergebens gewesen. Aus diesem Grund haben die US-Behörden selbst nie den Namen des Kuriers preisgegeben. Ob Bin Laden allerdings überhaupt von den Dokumenten wusste – immerhin lebte er ohne Telefon und Internet – ist unklar. Entweder hatten ihn seine Mitarbeiter nicht darüber informiert oder er hielt das Risiko für überschaubar.
Sollte sich bewahrheiten, dass die WikiLeaks-Veröffentlichungen die Regierung im Fall Bin Laden tatsächlich unter Druck gesetzt haben, könnte sich die Einstellung gegenüber der Enthüllungsplattform bei vielen Menschen negativ ändern.