Patentsystem mit Tücken bremst die IT-Branche

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Gras und Prozessoren

Das Gras ist grün. Punkt. Es lässt sich nicht verändern. Doch kaum entwickelt jemand eine chemische Methode, das Gras lila wachsen zu lassen und patentiert sie, ist der leuchtende Rasen plötzlich geschützt. Die Farbveränderung als solche ist eine schützenswerte Innovation.

Doch hier kommt das US-Patentrecht zum Einsatz bei den „Patent-Trollen“: Abmahnanwälte, die jede andere Art von lila gefärbtem Rasen als Patentmissbrauch bezeichnen. Wahrlich: Geschützt ist nur die chemische Methode, den Rasen zu färben. Wer andere Chemikalien verwendet, ist an sich fein raus. Doch ganz so einfach ist es nicht: Kommt eine US-Patentklage, muss der Verklagte erst einmal nachweisen, dass er nicht die geschützte Methode verwendete – oder er muss auf „prior Art“, also lange vorher vorliegende Möglichkeiten, das Gras so zu färben, verweisen.

Das Gras ist gleichzusetzen mit Hardware: Dass ein Prozessor mit einer Ansammlung von verkleinerten Transistoren arbeitet, ist unstrittig – niemand wird andere verklagen, weil sie für ihre Chips Transistoren verwenden. Wäre dem nicht so, könnte Intel alle CPU-Hersteller in die Pflicht nehmen und Lizenzgebühren verlangen – und letztendlich HP bei Intel abkassieren, weil die Intel-Gründer seinerzeit wohl Forschungs-Know-how von ihrem früheren Arbeitgeber mitgenommen hatten – nachweisbar ist dies freilich nicht.

Schwieriger ist das schon mit umfassenderen Methoden innerhalb der Schaltungen. So kann der britische Hersteller ARM mit seinen völlig eigenständigen Entwicklungen des „reduced instruction set computing“ (RISC) und der später entwickelten Stromspartechniken nicht mehr von anderen verklagt werden.

Im Gegenzug gibt er seine Schaltungen sogar an Dritt-Entwickler wie Qualcomm, Texas Instruments oder Samsung für moderate Lizenzgebühren weiter. Ein ARM-Manager beschrieb dies bei einem Redaktionsbesuch in München einmal als „slightly reduced open source for fardware“. Die externen Entwickler schließlich können die Schaltungen so ändern wie sie wollen. So habe man keine Angst vor Ideenklau etwa aus China – wo ARM inzwischen sogar mit Universitäten zusammenarbeitet, um seine eigenen Entwicklungen zu erweitern.

Die Skalierbarkeit von US-Patenten jedoch, so Nathan Myhrvold, Gründer des Patentwächter-Unternehmens Intellectual Ventures, beklagte sich gegenüber dem Magazin Wired darüber, dass man US-Patente nicht „skalieren“ könne.

Kurzum: Man beantragt ein Patent für eine bestimmte Methode. Die Weiterentwicklung der Methode ist jedoch nicht mehr von den Schutzrechten abgedeckt – nur, wenn sie die ursprüngliche Verfahrensweise anwendet, können die Patentanwälte noch Geld dafür verlangen. Wäre es möglich, auch für weitergehende Gedanken Lizenzgebühr zu nehmen, wäre Myhrvold wohl schon hundertfacher Milliardär.

Dennoch möchte sein Unternehmen mit den US-Patentbehörden darüber reden, daran etwas zu ändern. Aber dennoch verbittet er sich, „Patent-Troll“ genannt zu werden.

Software ist Logik – kann man Logik schützen?

Das Hauptproblem am Interessenstau der Entwickler liegt auch darin, dass der Erfinder sein Patent als erster angemeldet haben muss, um damit von anderen Geld zu verlangen. Kurzum: Ein Startup muss vor allem in den USA von Anfang an mit ausreichend Finanzmitteln für Patenteintragungen und Anwälte ausgestattet sein. Wer als kleiner Software- oder Web-Entwickler eine tolle neue Idee hat, macht sie nicht automatisch gleich zu Geld.

Tückisch ist aber nicht nur das System dahinter, sondern auch die Patentierbarkeit der „Verfahrensweise“. So beginnen viele Patentbeschreibungen mit den Worten „method for“ – eine Methode für – das Rollen eines Drehreglers in bestimmten Zusammenhängen ist genauso eine schützbare Methode wie die Anordnung von Icons auf einer grafischen Oberfläche. Vieles, was uns Europäern einfach nur logisch und damit nicht sonderlich schützenswert erscheint, kann in Patentsystemen wie dem amerikanischen als „Erfindung“ angemeldet werden.

Geht das Fräulein mit den ansprechenden Kurven von A nach B, ist dies noch nicht schützbar, doch die Art, wie sie dabei mit dem Hintern wackelt, sehr wohl. Eine „Methode, mit langsamen Bewegungen des Hinterteils um 30 Grad pro Schritt“ kann also patentiert werden – und so ist es nicht verwunderlich, dass manche Softwarelösungen nicht mehr unbedingt ästhetisch wirken – denn die „Schönheit“ der Bedienung ist patentiert.

Vor einigen Jahren, als die US-beherrschte Software-Industrie darauf drängte, Software-Patente in Europa durchzusetzen, kam es zu einem Eklat zwischen Programmierern und Software-Riesen. Mit Unterstützung der ebenfalls in den USA entstandenen Open-Source-Szene konnte dies noch abgewendet werden. „Evangelist“ Jan Wildeboer von Red Hat brachte seinerzeit den Stein ins Rollen, die Software-Szene erhob sich gegen „unsinnige Patente“, und Aktivist Florian Müller, der noch heute ein Blog rund um Patentstreitigkeiten in der Branche betreibt, brachte es damit bis zu einer Anhörung und Entscheidung im Europäischen Parlament.

Software per se ist daher in Europa noch nicht patentgeschützt – nur in Kombination mit technischen Gerätschaften darf ein Schutzrecht für Software gewährt werden. Und so landen trotz fehlender Softwarepatente immer noch viele Streitigkeiten vor deutschen Gerichten. Weil die US-Gerichte so langsam seien, so Florian Müller in seinem FOSS Patents-Blog, würden viele weltweite Streitigkeiten von den Unternehmen lieber vor den schnelleren europäischen Gerichten ausgetragen, allen voran Mannheim, Düsseldorf und München.

Dort wurden auch vor kurzer Zeit Prozesse zwischen Apple, Motorola, Samsung und Konsorten ausgetragen, denn die mit Hardware kombinierten Softwarestreitigkeiten überwiegen derzeit das Kampfgetümmel an der Lizenzfront.

Mobilpatente und was daraus folgt

Die Unzulänglichkeiten  der weltweiten Patentgesetze, einerseits Erfindungen zu schützen und andererseits die evolutionäre Weiterentwicklung nicht zu hemmen, rufen insbesondere im Bereich der Mobilgeräte Heerscharen von Anwälten auf den Plan, die sich mit Klagen, Gegenklagen, Vergleichen und erneuten Feindschaften aufeinanderstürzen.

Der ehemalige Softwarepatent-Aktivist Müller hat sein Blog inzwischen umgewidmet und beschreibt nur noch die Feindseligkeiten im Mobil- und Internet-Markt. Als Analyst hat er aus seinem juristischen Faible inzwischen seine Berufung gemacht und berät einige der Unternehmen, über deren Rechtsstreitigkeiten es inzwischen fast jeden Tag neue Nachrichten gibt.

Egal, wie sich die Patentsysteme weltweit entwickeln: Das Gras ist grün und jeder darf das auch im Sinne des Copyrights sagen – selbst wenn jemand schon zuvor sagte, dass es diese Farbe hat. Und 1+1 ist immer noch 2 – meine Mathematiklehrerin darf mich nicht verklagen, nur weil ich ihre Worte wiedergebe. Das ist logisch und patentfrei.

Für Hard- und Software heißt es also weiterhin: Innovationen entwickeln ist gefährlich – aber noch immer möglich.

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