Nachhilfe für die Digitalisierung im Mittelstand

Noch immer sind derzeit nur 60 Prozent der deutschen Mittelständler im World Wide Web vertreten. Und nur 40 Prozent von ihnen betreiben digitales Marketing. Worin liegen die größten Hürden für einen klassischen Mittelständler, das Internet für die Verbesserung der Geschäftsprozesse zu nutzen und die dahinter liegenden IT-Systeme für die neuen Anforderungen fit zu machen?
Die Initiative Antrieb Mittelstand, von BVMW und der Deutschen Telekom Ende vergangenen Jahres ins Leben gerufen, hat sich auf die Fahnen geschrieben, eben dieser Zielgruppe durch eine kostenlose Tagungsreihe praktisches Wissen zu vermitteln. ITespresso hat sich bei der letzten Konferenz in München ein Bild dvon gemacht.

Christian Rätsch, Bereichsleiter Marketing KMU bei der Telekom Deutschland GmbH, ist überzeugt, dass es in KMU vor allem an praktischem Wissen fehlt, wie der Sprung in die Digitalisierung am besten angepackt werden sollte. “Ein Hemmnis für das Verständnis ist vor allem das in der Branche verbreitete Marketing-Englisch und Technik-Deutsch.” Die Ende 2012 gestartete Initiative Antrieb Mittelstand will dem entgegenwirken und KMUS über den richtigen Weg in die Digitalisierung informieren.
Verkaufserfolg kommt mit dem Verstehen
Benötigen denn mittelständische Unternehmen überhaupt eine weitere Initiative wie Antrieb Mittelstand? Christian Rätsch erläutert, warum er die Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen hat: “Dahinter steht der Gedankte, dass man tatsächlich besser verkaufen kann, wenn die Menschen verstehen. Ich habe festgestellt, dass es nicht funktioniert, komplizierte Produkte über Werbung zu verkaufen, weil die Zielgruppe die Dinge nicht so schnell einordnen kann. Vertrauen kann nur entstehen, wenn man versteht. Deshalb bauen wir eine Plattform, wo die Menschen Vertrauen schöpfen können, weil sie besser verstehen. Dann werden sie sich erinnern, wer ihnen das beigebracht hat und sie werden zu uns zurückkommen.”
In der Tat werden zu fast allen Themen, die derzeit den Mittelstand umtreiben, Workshops und praxisnahe Themenforen, angeboten: Von der effizienten Zusammenarbeit über das elektronische Pflegen von Kundenbeziehungen und die Generierung von Online-Umsatz bis hin zur Verbesserung der Arbeitsabläufe und dem Arbeiten in der Cloud.
Um ein solch breites Themenspektrum abzubilden, unterstützen neben der Telekom weitere Hersteller wie Dell, Microsoft und Nokia die Initiative. Dazu kommen viele kleinere Anbieter mit auf KMUs zugeschnittenen, digitalen Anwendungen.
Deutschland eine Servicewüste
Mario Ohoven, Präsident des Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW), bemängelt in seinem Vortrag die bei Mittelständlern immer noch häufig zu findende Einstellung “Das einzige was stört, ist der Kunde.” Das hätte auch Deutschland den Ruf als Servicewüste eingebracht.

Und was macht der Endkunde? Er kauft immer häufiger über das Internet ein. So hat sich seit 2008 der Online-Umsatz im Handel mehr als verdoppelt. Und auch in diesem Jahr soll das Wachstum zweistellig ausfallen. Bis 2017 soll der Umsatz im Web die 200-Milliarden-Grenze erreichen. Ohoven hat daher auch kein Verständnis, “wenn Mittelständler in ihrer Offline-Welt verharren”. So würden erst 6 von 10 über einen eigenen Online-Shop verfügen, und ein Drittel Social-Media-Maßnahmen verfolgen. Sein Appell: “Gehen Sie mit der Zeit, sonst gehen Sie mit der Zeit!”
Für eine Umkehr in der Einstellung plädiert auch Unternehmensberater Edgar K. Geffroy in seinem Vortrag mit dem vielversprechenden Titel “Der Triumph des digitalen Kunden”. Da er das Internet als Chefsache sieht, könne es auch nicht delegiert werden.
Geffroy erzählt von seinen eigenen Erfahrungen im Krisenjahr 2008, als seine Firma kurz vor dem Aus gestanden habe. Dabei wurde ihm klar, dass er seine Geschäftstätigkeit komplett neu aufstellen müsse. Mobilität und effiziente Vernetzung erkannte Geffroy damals als die entscheidenden Eckpfeiler für die neue Geschäftstätigkeit. So hätte er zum Beispiel durch den Einsatz von Cloud-Angeboten die eigenen IT-Kosten um 90 Prozent senken können.
Der Unternehmensberater weist auch auf den Google-Faktor hin, der die Möglichkeit beschreibt, zum einen Google als Verkaufsabteilung und zum anderen Facebook als Marketingabteilung zu nutzen. “Social Media im Geschäft ist erst am Anfang. Werden Sie selbst zum Sender, um ihre Geschäfte zu forcieren”, fordert Geffroy.
Ähnlich sieht das Christian Rätsch. Seiner Ansicht nach eignet sich das Internet ideal für die Mehrwertschöpfung und Inspiration. Und Ideen würde man heute nicht mehr nur bei den besten Mitarbeitern und Kunden finden, sondern auch auf Social-Media-Plattformen. Diese könne man dann auch über das Internet finanzieren, wie das Beispiel Crowdfunding zeigt.

Mobile Geräte verändern die Arbeitswelt
Wie sich durch mobile Lösungen und Geräte neue Anwendungsfelder erschließen lassen, zeigte das Themenforum mit Dell und Piecha Design. Das auf Auto-Tuning spezialisierte Unternehmen setzt seit Kurzem Tablet-PCs von Dell im Vertrieb und Außendienst ein.
Stefan Walliser, Geschäftsführer bei Piecha Design, erläutert die Ausgangslage: “Wir haben eine Webapplikation auf HTML-5-Basis entwickelt, was den Vorteil hat, dass die Seiten auch dargestellt werden, wenn keine Internetverbindung vorhanden ist. Unser Produktkatalog enthält über 7.000 Einzelteile.”
In die Vorauswahl sind 13 Tablets gegangen, das Rennen machte schließlich die Windows-8-Plattform. Ausschlaggebend dafür war unter anderem, dass sie Schnittstellen zum CRM- und ERP-System bietet. Zudem sind in Windows 8 Standard-Sicherheitslösungen wie auch eine ausgefeilte Nutzerverwaltung über das Competence Center enthalten.
“Die bisherigen Tablets sehe ich mehr als Spielzeuge. Die Window-8-Tablets sind für den Profi-Einsatz geeignet, da hier Standard-Schnittstellen für Windows verwendet werden können”, ist Stefan Walliser überzeugt. Mit der Umsetzung des Projekts waren drei Mitarbeiter rund fünf Monate beschäftigt. Das Gesamtinvestment für Hardware und Software lag bei unter 50.000 Euro.
Der ROI wurde bereits nach einem Jahr erreicht. So konnte durch die direkte Kundenansprache mittels der Tablets der Absatz gesteigert werden. Darüber hinaus profitiert auch der Servicebereich bei Piecha Design: So werden jetzt sämtliche Montageabläufe über Video dokumentiert und sind für die Mitarbeiter bei Bedarf auf dem Tablet abrufbar.
Mittelstand hat eigene Ansprüche
Nun stellt sich natürlich auch die Frage, inwieweit sich die Anforderungen des Mittelstands an die IT von denen großer Konzerne unterscheiden. “Große Unternehmen haben ein CEO oder einen IT-Leiter, dessen Aufgabe es ist, sich über den aktuellen Stand der Technologien zu informieren. Die Unternehmer hier bringen diese Voraussetzungen nicht mit, die haben im Idealfall einen Mitarbeiter, der für die Digitalisierung zuständig ist”, sagt Christian Rätsch.
Eine wichtige Rolle spielt seiner Ansicht nach auch das Thema Innovation. Bei neuen Technologien wie beispielsweise Cloud Computing gäbe es eine gewisse Unsicherheit. “Die kommt aus einer alten Denkweise, die da heißt: Wenn ich Akten habe, schließe ich sie in einen Aktenschrank ein. Wenn ich also meine Akten bei einem fremden Unternehmen einschließe, kann das doch nicht gut sein. Da müssen wir helfen, Vertrauen aufzubauen, aber auch überzeugen, dass die neuen Wege überhaupt nicht unsicherer sind”, so Rätsch.
Über Irrtümer wird aufgeklärt
Hartnäckig halten sich nach wie vor Vorbehalte gegenüber der Digitalisierung beim Mittelstand. Die Initiative Antrieb Mittelstand will durch die kontinuierlich stattfindenden Veranstaltungen zur Aufklärung von Irrtümern beitragen. “Wer heute Abend nach Hause geht, wird eine andere Beziehung zu dem Thema haben als noch heute Morgen. Die Unternehmer kommen immer mit dem gleichen Anlass. Sie wissen, da fährt jetzt ein Zug an ihnen vorbei, aber sie wissen nicht, wie sie aufspringen sollen. Nach unserer Veranstaltung können sie besser einordnen, wo sie ‘Tiefenbohrungen’ machen müssen”, so Rätsch.
In welchen Bereichen sollten sich nun Mittelständler zuerst engagieren? Die Bandbreite der Themen ist riesig, sie reicht von Cloud Computing über Mobilität und Kommunikation bis hin zu Online-Marketing. Christian Rätsch ist sicher, dass die Unternehmen, die die Konferenz besuchen, eher selten bei allen Themen Nachholbedarf haben. “Im Umkehrschluss haben wir gesagt, das Thema Digitalisierung ganzheitlich anzugehen und nicht zu eng fassen. Denn wir haben bei Gesprächen immer wieder festgestellt, dass Unternehmer sagen, ‘das ist ja schön und gut, aber wir haben ein ganz anderes Problem.”
In dieser Einschätzung liegt auch der Grund, warum Rätsch die Initiative um noch mehr Themenfelder erweitern möchte. Aber hierfür benötigt der Antrieb Mittelstand weitere Partner und Sponsoren. Rätsch sieht die Zukunft der Initiative positiv: “Die Plattform Antrieb Mittelstand wird schon bald die führende Digitalisierungsinitiative in Deutschland sein. Mit den wichtigsten Anbietern werden wir das Thema in seiner ganzen Bandbreite abdecken.”
Nächste Gelegenheiten, sich Nachhilfe bei der Digitalisierung geben zu lassen, sind am 18. Juni in Hannover und am 25. Juni in Dresden.