Start-ups: Das Web ist nicht alles, aber ohne Web ist alles nichts

Bei einer Präsentation von rund 50 Start-ups in München zeigte sich, dass das Internet und die Technik nicht mehr zwingend im Zentrum der Neuerungen stehen. Beide werden jedoch in allen Fällen unabdingbar gebraucht, um zum Ziel zu kommen. Das Web wird als wichtigste Verkaufsplattform für viele andere Branchen und Ideen genutzt, und die Technik, egal ob Soft- oder Hardware, als Werkzeug. Manche der gezeigten neuen Ideen dienen dann auch dazu, mit der Masse von Anwendern, Reaktionen und Daten im Netz und Produkten in Lagern richtig umzugehen.
So fanden sich unter den Gründungsideen Apotheken-Einsortier-Roboter, Feinschmecker-Communities, Crowdfunding für Immobilien oder für Autobau, Essensgutschein-Flatrates, Unternehmenssteuerungssoftware für KMUs, soziale Personalsuchnetzwerke bis hin zu Management-Frauenquoten-Services.
Soziale Netze, Communities und Crowdfunding dominieren
Das Unternehmen Maloon präsentiert mit Socialhub.io ein Werkzeug, mit dem Unternehmen Einblick in die Nutzerreaktionen in sozialen Netzwerken bekommen und schnell reagieren können, ohne zwischen Facebook, Twitter oder YouTube hin- und herschalten zu müssen.
Der Service sammelt alle Fan-Nachrichten ein und ermöglicht, über ein einziges Dashboard auf alle Web-2.0-Reaktionen zu antworten. Die Social-Media-Management-Software im Hintergrund kümmert sich bereits um den Umgang einiger Großkunden mit dem Phänomen der nicht immer leicht beherrschbaren Internet-Communities.

Die ganze “Crowd” der Webnutzer ist denn auch Mittelpunkt des Projektes Crowd-car. Statt eines Autokonzerns baut die Gemeinde der Internetanwender ein (umweltfreundliches) Auto zusammen. So kann sich jeder ein “Pixel” auf der Werbeoberfläche des Autos kaufen und den neuen Wagen mitfinanzieren.
Die Testbirds wiederum nutzen die Crowd, um von ihr Applikationen, Webservices und andere Produkte auf Funktionsfähigkeit und lokale Markttauglichkeit prüfen zu lassen. Das Unternehmen trat bereits 2011 auf dem Start-up-Day an. Es ist heute fest in der Industrie verankert und mit seiner Idee nicht mehr alleine – doch als Start-up sieht es sich noch immer, denn Optionen zum Marktausbau sind noch viele da.
Crowd-Finanzierung für Immobilienbau ist ein Modell der Kapitalfreunde.de. Wenn Eigenkapital und Bankkredite nicht ausreichen, um Wohnungsbauprojekte zu finanzieren, soll die Masse ihr Geld gegen hohe Zinsen als Darlehen für die Bauherren zur Verfügung stellen – nach zwei Jahren soll das Geld bei derzeitigen Projekten mit 7,2 Prozent Verzinsung zurückkommen.
Ein Einstieg ist ab 250 Euro möglich. Anders als niedrig verzinste Bankeinlagen sind die Crowd-Gelder aber nicht vom Einlagenschutz der Banken abgesichert – der hohe Zins ist also auch mit Risiken verbunden. Auch Kapitalsucher, nur seriöse Bauherren, Kapitalfreunde.de hat schon einige Anfragen abgelehnt, sollen über den Dienst das Massengeld einsammeln können, um unabhängiger von Banken zu sein. Ob sie alle die hohen Zinsversprechungen einhalten können, hängt definitiv vom Standort des finanzierten Objekts ab – in teuren Städten wie Starnberg und München ist das erreichbar.
Essens-Flatrates, Feinschmeckerdienste und Apps zum Heizkostensparen
In eine völlig andere Richtung zielen die vertretenen kulinarischen Unternehmensgründungen. Nicht die große Crowd, sondern ein sehr spezieller Kreis von Feinschmeckern ist Zielpublikum von 99tastes.com. Der Lieferservice von ganz speziellen Edellebensmitteln bezeichnet sich selbst als “Delikatessen-Community für Foodies”. Jede Woche will der Spezial-Onlineshop neue Feinkost präsentieren.
Massentauglicher sind die Angebote von CulinaCard – ähnlich wie Groupon, aber ohne Verkauf einzelner Gutscheine, vermittelt der Service vergünstigte Restaurantbesuche. Die Partner-Gastronomen von CulinaCard, inzwischen schon eine ganze Menge, verpflichten sich, Inhabern der Karte ein zweites Hauptgericht kostenfrei zu geben. Die “Kneipen-Flatrate” im Stil von “Buy one, get one free”, lohnt sich vor allem für Personen, die regelmäßig zu zweit essen gehen, also kochunwillige Paare oder einfach Arbeitskollegen. Statt ein wiederkehrendes Abo gilt die einmal gekaufte CulinaCard ein ganzes Jahr – und dann ist es damit vorbei.

Und noch simpler als nur das Essen sind die Bestellungen der täglichen Dinge des Lebens – daher wohl auch der Name der Gründung Simplora. Im Grunde ist es ein spezialisierter Preisvergleichsdienst für einfache Gegenstände wie Toilettenpapier, Taschentücher, Windeln, Grundnahrungsmittel, Shampoo und so weiter.
Simplora lebt von Provisionen der Anbieter. Verträge mit Edeka, Rossmann, Amazon und einigen anderen bestehen bereits. Eine Einkaufsliste für alle Shops reicht, denn Simplora sucht jeweils den günstigsten Preis heraus und sendet alle Bestellungen ab. Eine Übersicht über Preise, Lieferzeiten und Verfügbarkeit zeigt, wann man für die Lieferungen zuhause sein sollte.
Auch die Produzenten von Mobil-Apps waren auf dem Start-up-Day zahlreich vertreten. Eine davon steuert einen “Heizungskontrolleuer”. Statt sich auf reine Thermostatlösungen zu verlassen, können Hausbesitzer über ihr Smartphone die gewünschten Temperaturen in verschiedenen Räumen einstellen und festlegen, wann wo wie stark geheizt wird.
Das Start-up Controme verspricht Heizkosten-Ersparnisse bis zu 30 Prozent. Controme will die Lösung am Liebsten gleich an Bauherren verkaufen, ein nachträgliches Einbauen geht jedoch auch. Mit der App “heizManager” kann die Temperatureinstellung mit der aktuellen Wettervorhersage verknüpft werden, um sich nicht mehr selbst kümmern zu müssen.
Sensoren im Ohr, Managerinnen im Web und soziales Recruiting
Komfort ganz anderer Art will Cosinuss vermitteln: Sensoren und Prozessoren sind inzwischen so klein, dass sie bequem ins Ohr passen. Der Sensor von Cosinuss erkennt Blutdruck, Puls und Temperatur auf regelmäßiger Basis. Das Produkt eignet sich damit zum Beispiel für die Leistungskontrolle bei Sportlern.

Mithilfe der standardisierten Funkprotokolle Bluetooth 4.0 oder ANT+ leitet der Hightech-Ohrenstöpsel die Informationen an das Handy oder die Pulsuhr weiter. Zu den möglichen Zusatzgeräten gehört ein USB-Dongle. Eine Anzeigesoftware kann die von ihm empfangenen Daten unmittelbar darstellen. Stress oder Schwäche werden so schnell erkannt. Die auf dem Datenlogger gespeicherten Werte lassen sich auslesen und visualisieren. Als mögliche Anwendungen geben die Macher auch Medizin, Arbeitsschutz oder gar Fruchtbarkeitsbestimmung an.
Weniger komfortabel ist das Leben für Frauen, die Managementposten suchen. Exxenta will das Problem der Frauenquoten angehen, indem es geschützte Profile von Bewerberinnen anbietet.
Insbesondere hochqualifizierte Jobwechselwillige geben ungern in den üblichen Stellenvermittlungsbörsen ihre Personaldaten preis, denn das könnte zum Verlust des derzeitigen Postens führen. Umgekehrt können Arbeitgeber hier geprüfte Personendaten von Expertinnen und Führungskräft(inn)en besichtigen und preiswerter als über Headhunter an Führungspersonal kommen – und so die verlangten Management-Frauenquoten endlich qualifiziert füllen.
Im Personalbereich agiert auch Talentry, das “Social Recruiting” anbietet. Die Software des Unternehmens hilft, Mitarbeiter aktiv dazu zu bringen, geeigneten Kandidaten aus ihren Netzwerken Empfehlungen zu geben und damit deren Chancen auf Anstellung zu erhöhen.

Der Arbeitgeber oder Headhunter kann in einer eigenen Oberfläche aus den vielen Empfehlungen in Netzen dann leichter den geeigneten Kandidaten aus den Mitarbeiterempfehlungen finden, statt in einer großen Masse die Stecknadel im Heuhaufen zu müssen. Durch einen selbst entwickelten Matching-Algorithmus können sich Social Headhunter mit einem Klick etwa passende Kandidaten aus den Xing-Netzwerken der Mitarbeiter vorschlagen lassen. Zudem kann der Arbeitgeber seine eigenen Jobangebote mit wenigen Mausklicks über die Netze verteilen, ohne extra von Hand in jedem Netz eine Stellenausschreibung posten zu müssen.
Personalaktivitäten wie Stellenausschreibungen über die Empfehlung der Stelle bis hin zum Eingang von Bewerbungen und der Auswahl eines finalen Kandidaten lassen sich mit Talentry Analytics auswerten. Damit behalten die Personaler einen Überblick zur Reichweite ihrer Stellenausschreibungen und verschiedener Social-Media-Kanäle.
Roboter sortieren Kleinteile, ERP-Systeme steuern KMUs, Data Warehouses bauen sich selbst
Zu den vielen neuen Ideen gesellt sich ein intelligenter Sortierroboter: Magazino arbeitet mit Bilderkennung und erfasst so Kleinteile wie unterschiedliche Medikamente oder diverse Supermarkt-Anlieferungen der Speditionen. Dann hebt der Roboterarm die Richtigen auf und legt sie ins passende Fach.
Weitere Kommissionier- und Lagerautomaten des Start-ups sollen, angepasst an einen veränderten Markt der Lagerlogistik, das Lagern ganzer Paletten hin zur Ein- und Auslagerung eines einzelnen Objekts übernehmen.
Im klassischen Bereich der CRM- und ERP-Lösungen hat die Firma embedded projects einmal den Weg umgedreht: Nicht die Software stand am Anfang der Produktentwicklung, sondern zuerst die Embedded-Hardwarelösung. Aus den kleinen Industriecomputern und Miniwerbservern heraus sind zahlreiche Anwendungen entstanden, die die Hardwarekunden sich gewünscht hatten.
Stück für Stück ist daraus eine ganze Suite von Unternehmenslösungen auf offener Web-Basis geworden – den kleinen Miniwebserver, auf dem alle Lösungen und Daten vorhanden sind, auf Wunsch zum Einpacken und Mitnehmen, liefert der junge Hersteller gleich mit.

Das Paket heißt Wawision, und von Lagerverwaltung über Stücklisten, automatischem Paketmarkendruck, Buchhaltung mit DATEV-Schnittstelle bis zur Kundenadressverwaltung (und ungefähr dreimal so vielen weiteren Spezialanwendungen) ist fast alles dabei, was KMUs benötigen.
Das gesamte Software-Paket ist Open Source. Gesamtpakete mit passender Hardware sind samt verschiedenen Supportverträgen erhältlich. Die Enterpise-Verion kostet 1190 Euro einmalig oder 350 Euro im Jahr. Die kostenlose Open-Source-Version kommt ohne jeden Support.
Wer schon immer einmal das Problem hatte, verschiedenste Datenquellen zu einem großem Ganzen zusammenzuführen – Stichwort Data Warehouse – und dafür oft eine Projektierungszeit von mehreren Monaten veranschlagen musste, kann aufatmen: Datavirtuality, eine Lösung des gleichnamigen Leipziger Start-ups, verbindet die Datenstrukturen von selbst und zeigt sie über Business-Intelligence-Frontends an. Das selbst zusammenbauende Data Warehouse soll vom ersten Tag an funktionieren und produziert und optimiert anhand der häufigsten Abfragen die Datenstrukturen und Suchindizes.