Die falsche Wutrede des Christian Lindner

Wenn Videoclips von Politikern im Web viele Klicks bekommen, ist das zumeist keine gute Nachricht. Günther Oettinger kann ein Lied davon singen, der sich einst als frischgebackener EU-Kommissar für seine schlechten Englischkenntnisse verspotten lassen musste. Oder auch “Neuland”-Kanzlerin Angela Merkel. Jetzt hat es den FDP-Vorsitzenden Christian Lindner erwischt.
Doch der darf sich freuen. Seine “Wutrede” im nordrhein-westfälischen Landtag, in der er auf einen kritischen Zwischenruf aus dem Plenum reagiert, hat eine Menge Beifall bekommen, vor allem in den sozialen Netzwerken. Auf Youtube wurde der Clip schon ein paar hunderttausend Mal angeklickt. Lindner attackiert darin den Zwischenrufer, der sich über Lindners einst gescheitertes, eigenes Unternehmen mokiert hatte.
Der FDP-Politiker beklagt die Schwierigkeiten für Start-ups in Deutschland. Die vielen bürokratischen Hürden. Und wer mit seinem Unternehmen scheitere, sei stigmatisiert. Hat er Recht?
Lindner hat natürlich einen Punkt getroffen. So heißt es zum Beispiel auch im Deutschen Start-up-Monitor, einer Online-Befragung, dass man in Deutschland “kaum von einer ausgeprägten Risikokultur sprechen” könne. Am Pranger stehen immer die Banken, die nur ungern Geld für riskante Unternehmensgründungen und noch weniger gern Geld für Wachstum rausrücken wollen.

Dabei gibt es für Start-ups auch jenseits der notorisch zugeknöpften Banken Möglichkeiten, an Geld zu kommen. Eine davon ist das Crowdfunding. Doch nach Angaben des Deutschen Start-up Monitor setzen nur 4,1 Prozent aller Start-ups auf Crowdfunding. Die meisten greifen auf ihr Erspartes zurück oder leihen sich Geld von Freunden und Verwandten. Daneben gibt es aber auch zahlreiche staatliche Förderangebote und Gründerwettbewerbe, die vor allem auf Hightech-Start-ups zielen.
Die Mär von Silicon Valley
Doch die Diskussion läuft immer in den gleichen Bahnen. Und immer fällt dieser eine Satz: Wir in Deutschland hätten keine “Kultur des Scheiterns wie in den USA”. Ganz anders dagegen in Silicon Valley. Hier, so geht die Mär, leben lauter junge und ideenreiche Helden der Digitalkultur, die schnell mal ein Start-up gründen, Tag und Nacht arbeiten, damit das Projekt möglichst schnell online geht – und dann am Ende scheitern.
Macht nichts, also rappeln sie sich auf und basteln am nächsten Projekt, das dann garantiert das nächste große Ding wird. Weil es die Behörden und Banken in California nicht weiter stört, wenn einer gescheitert ist, sie unterstützen ihn auch weiterhin vorbehaltlos.
Scheitern ist cool. Wenn das die spießigen deutschen Banker doch endlich mal verstehen würden. Der Satz von der “Kultur des Scheiterns” ist inzwischen zum Klischee geworden. Doch reicht es wirklich, wenn wir jedem, der ein Start-up an die Wand gefahren hat, lobend auf die Schultern klopfen und gleich das Geld für das nächste Projekt in die Hand drücken?

Die deutsche Wirtschaft sollte sich schon fragen, ob sie auch genügend gute Ideen produziert. Gute Ideen kommen von kreativen Leuten. Kreative Leute haben Schulen und Universitäten besucht, die freies Denken und frische Ideen befördern. Wie steht es damit in Deutschland?
Silicon Valley ist kein Vorbild
Ebenso wie man das Klischee von der “Kultur des Scheiterns” in die Diskussion werfen darf, könnte man das andere Klischee in die Diskussion werfen, wonach gute Ideen sich am Ende immer durchsetzen. Ein Problem hierzulande könnte daran liegen, dass man sich viel zu sehr am Silicon Valley orientiert. Das ist nun mal eine andere Kultur, eine US-amerikanische. Das gilt auch und gerade für das Wirtschaftsleben. Und nirgendwo wird dies so deutlich wie im Bereich Hightech.
Doch statt den kulturellen Unterschied und die anderen Qualitäten der deutschen Wirtschaft anzuerkennen, versucht man hierzulande krampfhaft, dem Mythos Silicon Valley zu kopieren. Alle wollen coole Start-ups im California-Style sein.
Wenn es schief geht, dann ist wieder mal die deutsche Mentalität schuld. Und die Bürokraten. Und die Politiker. Und natürlich die bösen, bösen Banker. Die wollen einfach kein Geld rausrücken, nur weil das Geschäftsmodell nicht funktioniert. Aber Hornbrille, Hipster-Bart und das Surfbrett im Empfang machen halt noch keine gute Geschäftsidee.
Die komplette Rede von Christian Lindner im Landtag NRW, der Zwischenruf erfolgt bei Minute 22.