Moldawien hofft auf Aufschwung durch Outsourcing

Unternehmen
Moldawien Flagge (Bild: Shutterstock/Ojal)

Die Republik Moldau baut ihre IT- und Telekommunikationsbranche derzeit massiv aus und schafft es dank ihrer geografischen Nähe zum Westen sowie den im Vergleich zu Rumänien und Bulgarien niedrigeren Standortkosten, große Unternehmen ins Land zu locken. Vor allem mit Steuererleichterungen und niedrigen Löhnen, die im Monat von 350 Dollar für einen jungen Softwareentwickler bis hin zu 1000 Dollar für einen erfahrenen Entwickler reichen, hat Moldawien die Firmen geködert.

Outsourcing-Unternehmen wie Endava und Pentalog planen bereits die Einstellung von Hunderten von IT-Spezialisten in Moldawien für die nahe Zukunft – wohlwissend, dass die Kultur des Landes sowohl mit der westlichen Welt als auch mit den Russisch sprechenden Regionen vereinbar ist.

Trotz alledem ist Moldawien noch weit davon entfernt, das Gelobte Land der IT-Branche zu sein. Seine politische Landschaft ist fast gleichmäßig zwischen Pro-europäischen und Pro-russischen Parteien aufgeteilt. Junge Menschen haben Straßenproteste wie die sogenannte Twitter-Revolution von 2009 initiiert, um ihrer pro-westlichen Sicht Ausdruck zu verleihen. Sie verschaffen sich zudem zunehmend Gehör im Hinblick auf verschärfte Anti-Korruptionsmaßnahmen, da sie um die Situation der Staatsanwälte im benachbarten Rumänien wissen, auf die derzeit massiver politischer Druck ausgeübt wird.

Der IT-Boom

Moldawien, das ärmste Land Europas, sei dennoch eine “konkurrenzfähige Alternative” zu klassischen Outsourcing-Zielen, wie die Marktforscher von IDC in einem unlängst veröffentlichen Bericht (PDF) feststellt. Das Land biete niedrige Steuern, engagierte Fachleute sowie angemessene Breitbandgeschwindigkeiten. “Je früher Unternehmen nach Moldawien kommen, desto eher können sie dessen Vorteile vollständig in Anspruch nehmen”, führt IDC weiter aus.

Das Analystenhaus hebt die hohe technische Fachkompetenz des dortigen IT-Personals zudem ebenso hervor wie deren Sprachkenntnisse, die neben Russisch auch Französisch, Englisch oder Spanisch umfassen. “Es ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis die großen, global operierenden Unternehmen dort zentrale Standorte eröffnen”, so IDC weiter.

Moldawien hat das EU-Assoziierungsabkommen unterzeichnet, während es gleichzeitig Mitglied der Freihandelszone der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ist (Bild: Shutterstock/Yuriy Vlasenko).
Standortvorteil: Moldawien hat das EU-Assoziierungsabkommen unterzeichnet, ist gleichzeitig aber Mitglied der Freihandelszone der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (Bild: Shutterstock/Yuriy Vlasenko).

Moldawien hat das EU-Assoziierungsabkommen unterzeichnet, während es gleichzeitig Mitglied der Freihandelszone der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) ist. Laut der Welthandelsorganisation hat das Exportvolumen des Landes in der Telekommunikations-, Computer- und Informationsdienstleistungsbranche in den vergangenen neun Jahren massiv zugenommen. Es wuchs von 58 Millionen auf 188 Millionen Dollar 2014.

“Wir gehen von einem 40-prozentigen Wachstum im IT-Sektor in den kommenden Jahren aus, dennoch versuchen wir unser Möglichstes, die dadurch erzielten Erträge bis 2020 noch zu verdoppeln. Das Wachstum wird in der Telekommunikationsbranche im Vergleich zum IT-Bereich langsamer vonstatten gehen, sagt Ana Chirita, Geschäftsführerin des moldawischen Branchenverbandes für IT- und Telekommunikationsunternehmen (ITK), gegenüber ZDNet.com.

Outsourcing-Unternehmen

Obwohl Moldawiens politische Landschaft fragil und mit einem Parlament ausgestattet ist, das zwischen 2009 und 2012 nicht in der Lage war, einen Präsidenten zu wählen, hat die Regierung es trotzdem weitgehend geschafft, Maßnahmen zur Unterstützung von Technologie zu beschließen. Die ITK-Branche erzielte 8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und widersetzte sich damit den regionalen Unruhen, wohingegen die IT-Industrie für sich genommen lediglich 0,8 Prozent erreichte.

Verschiedene Outsourcing-Firmen sind vor allem in Moldawiens Hauptstadt Chisinau tätig. “Wir haben das Potenzial des moldawischen IT-Marktes schon vor vielen Jahren erkannt”, sagt Kumail Jetha, Geschäftsführer von Endavas dortigem Standort. Es handelte sich um den ersten osteuropäischen Standort des Outsourcing-Unternehmens, noch vor der Expansion nach Rumänien und Mazedonien. “Unsere Kunden wissen nicht nur die spezifischen Outsourcing-Vorteile zu schätzen, die durch die geografische Lage und die langjährige Erfahrung des Landes in der Softwareentwicklung bedingt sind, sondern auch den effektiven kulturellen Fit”, so Jetha weiter.

Ansicht von Bender (Bild: Shutterstock/Vlada Z.)
Die Stadt Bender auch Tighina genannt, an der Grenze zwischen Moldawien und Transnistrien ist sowohl für das historische Erbe als auch die Zerrissenheit des Landes (Bild: Shutterstock / Vlada Z.).

Das Unternehmen beschäftigt rund 350 IT-Fachkräfte in Moldawien, plant aber, seine Angestelltenzahl auf mindestens 500 zu erhöhen. Hierzu wird die Firma durch das 50-prozentige Wachstum ermutigt, das das Land in den vergangenen zwei Jahren erlebt hat.

“Die Qualität des Entwicklernachwuchses ist hoch, die Arbeitsmoral sehr gut”, führt Jetha aus. IT-Spezialisten werden bei Endava in den kompletten Lebenszyklus einer Software eingebunden – angefangen beim Software-Design und der technischen Strategie bis hin zum Kompilieren und Testen. Die Projekte reichen dabei von mobilen Unternehmensanwendungen bis hin zu grundlegenden Zahlungsplattformen.

Trotz der guten Aussichten bleiben einige Probleme bestehen. Sergej Goloborodico, Leiter von Pentalog in Chisinau, ist etwa besorgt, dass die geopolitische Situation neue Investitionen in Moldawien verhindern könnte. Der lokale Markt sei noch immer zu klein. Zudem könnten nur IT-Projekte für Westeuropa und die USA das Überleben eines Unternehmens dort sichern, so Goloborodico weiter.

Darüber hinaus hat sich die Wettbewerbssituation für begabte Fachkräfte dramatisch verschärft. “Die Abschlüsse, die die dortigen IT-Fakultäten verleihen, genügen nicht den Bedürfnissen der Industrie. Außerdem ist die Menge an Sepzialisten nicht ausreichend”, so Goloborodico.

Viele gut ausgebildete Fachkräfte hätten sich nämlich entschlossen, im Nachbarland Rumänien zu arbeiten – einem Land, in dem dieselbe Sprache gesprochen wird und in dem sie auch besser bezahlt werden. Der wahre Vorzug Moldawiens sei jedoch dessen Bevölkerung, wie Goloborodico sagt. “Das sind intelligente, gewissenhafte Studenten und schnelle Lerner, die überdies ausdauernd, ehrgeizig und diszipliniert sind.”

Goloborodico würde daher eine größere Konsistenz bei politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit Technologie begrüßen: “Es gibt zwar staatliche Anreize für die IT-Branche, doch IT-Unternehmen müssen alle fünf Jahre mit neuen Regierungen um deren Verlängerung kämpfen.” Pentalogs Büro in Chisinau beschäftigt derzeit übrigens 120 Fachkräfte.

Moldawiens Arbeitskraft

Insgesamt beschäftigt Moldawiens IKT-Branche 22.000 Mitarbeiter, was angesichts der nur drei Millionen Einwohner viel ist. “Viele von ihnen sind gut ausgebildet, wir müssen aber dennoch ihre Zahl weiter erhöhen”, sagt Ana Chirita. Laut IDC machen jährlich 6 Prozent der moldawischen Studenten ihren Abschluss in Informatik und Mathematik sowie weitere 13 Prozent in Softwareentwicklung.

“Eigentlich sollten diese Zahlen ausreichen, um die Nachfrage zu befriedigen. Allerdings sind viele Lehrmethoden und Lehrpläne veraltet, sodass nur eine kleine Anzahl an Absolventen für Projekte mit höherem Nutzen infrage kommt. Andere benötigen hingegen eine zusätzliche Ausbildung”, sagt Moldawiens Minister für Informations- und Kommunikationstechnologie Pavel Filip.

Immerhin kooperieren Intel, Microsoft und IBM gemeinsam mit Endava und Pentalog nun mit den örtlichen Universitäten. Sie bieten hierbei nicht nur Praktika an, sondern offerieren auch ihre eigenen informellen Ausbildungsprogramme. Intel organisiert beispielsweise das Programm “Intel Teach to the Future” sowie “1:1 e-Learning.” Zudem veranstaltet das Land ISEF-Wettbewerbe, in deren Rahmen angehende Entwickler zur zugehörigen ISEF-Messe in die USA geschickt werden.

“Meiner Ansicht nach werden eine schnellere Umsetzung solcher Programme sowie weitere Investitionen automatisch bessere Ergebnisse bringen. Moldawien bewegt sich hier schon in die richtige Richtung”, sagt Dimitri Kalita, Geschäftsführer von Intel Ukraine, Weißrussland und Moldawien. Und Technologien wie die Cloud, Analytik, Mobile, Social und Security bringen “neue Möglichkeiten für Länder wie Moldawien, die klare Prioritäten in Richtung EU-Integration setzen”, glaubt Michael Paier, Hauptgeschäftsführer bei IBM Südosteuropa.

Darüber hinaus haben sich IBM, Microsoft, USAID und die moldawische Vereinigung privater Unternehmen gemeinsam mit der örtlichen Technischen Universität zusammengeschlossen, um ein IT-Innovations- und Kompetenzzentrum zu gründen, das Ende des Jahres seine Arbeit aufnehmen soll. Neben Schulungen und Zertifizierungsprogrammen sollen auch die Betreuung und Förderung von Start-ups zu dessen Aufgaben zählen.

Wie aus dem IDC-Bericht hervorgeht, zielt das Zentrum darauf ab, mehr als 1000 Personen im Jahr eine Ausbildung zu bieten und bis zu 50 Start-ups zu fördern. Die Kosten dafür werden auf zwei Millionen Dollar geschätzt – Geld, das aus Zuschüssen der USAID sowie aus Investitionen von Konzernen wie IBM und Microsoft stammt.

Moldawien lässt sich hinsichtlich seiner Bevölkerung jedoch nicht mit Ländern wie Indien oder China vergleichen und ist daher auch nicht für Unternehmen mit umfangreichen Projekten geeignet. Laut IDC ist Moldawien vielmehr für Kernaktivitäten wie Webentwicklung und grundlegendes Programmieren gut aufgestellt, aber auch für Tätigkeitsbereiche mit hoher Wertschöpfung. Hierzu zählt das Marktforschungsunternehmen sowohl Software-Analyse und -Design als auch Softwareentwicklung und Software-Tests.

Anreize für Technologiefirmen

Der Unternehmenssteuersatz in Moldawien beläuft sich für die IKT-Branche auf lediglich 12 Prozent, und ist damit niedriger als in vielen anderen Ländern dieser Region. “Viele Softwarefirmen haben Anspruch auf verringerte Sozialversicherungsbeiträge, welche wiederum auf einem festgelegten Prozentsatz des Einkommens von nur zwei Monaten beruhen – statt auf demselben Prozentsatz, der auf das Gesamtjahreseinkommen angerechnet wird”, erläutert IDC in seinem Bericht.

Zusätzlich profitieren Software-Spezialisten mit mittlerem und Einstiegsgehaltsniveau von einer Einkommenssteuerbefreiung, die für Einkommen unterhalb von 470 Euro und noch bis mindestens 2016 gilt. “Die Regierung zielt darauf ab, Software-Unternehmen den Aufbau und das Entwickeln eines Gewerbes in Moldawien zu erleichtern”, erklärt Pavel Filip.

In den vergangenen sechs Jahren habe das Land 45 Plätze im “Ease of Doing Business Ranking” der Weltbank gut gemacht, in diesem Jahr erreiche es Platz 63. “IT-Unternehmen sind mobil und ziehen es vor, in Ländern mit einem angenehmen Geschäftsumfeld zu sein. Daher will Moldawien entsprechende administrative Hürden beseitigen”, so der Minister weiter.

Gegenwärtig nimmt der Aufbau eines Gewerbes in Moldawien IDC zufolge sechs Tage in Anspruch. Das seien zwei Tage weniger als in Rumänien, neun Tage weniger als in Kroatien und zwölf Tage weniger als in Bulgarien – sowie ganze 24 Tage weniger als in Polen. Auch die Kosten dafür seien niedriger. “Die Aufwendungen für die Gründung eines Start-ups sind in Rumänien und Russland um rund 50 Prozent höher als in Moldawien – und an Standorten wie Polen und Tschechien sind sie noch einmal um eine Größenordnung höher”, so das Analystenhaus weiter.

Zudem gibt es auch speziell auf Unternehmen zugeschnittene Anreize. Freie Wirtschaftszonen und Industrieparks offerieren demnach “Umsatzsteuer- und Abgabenbefreiungen sowie je nach Gewerbe entweder ermäßigte Steuersätze oder einen Null-Steuersatz”, stellt IDC in seinem Bericht heraus. Darüber hinaus sei ein zehnjähriger Schutz vor Gesetzesänderungen garantiert, die das Geschäft eines Unternehmens nachteilig beeinträchtigen könnten.

Der moldawische Technologieminister hat zudem einen Gesetzesentwurf zu IT-Industrieparks sowie zu staatlichen Anreizen für dort registrierte Unternehmen verfasst: “Zum Maßnahmenkatalog zählt etwa eine Verkaufssteuer von sieben Prozent, mit der alle gegenwärtig von einer IT-Firma zu zahlenden Steuern abgegolten sein werden. Außerdem schlagen wir eine Befreiung von der Zollsteuer sowie eine Umsatzsteuerbefreiung für die Ausrüstung eines Unternehmens vor”, so Filip weiter.

Zudem würden die Behörden nicht nur physische Unternehmen in den neuen IT-Industrieparks begrüßen, sondern auch virtuelle. “Ortsansässige können von in ganz Moldawien verteilten Büros aus arbeiten, nachdem sie sich für einen Park registriert haben. Bis zum Jahr 2021 sollte sich der Umsatz in der IT-Branche um das Vierfache gesteigert haben, die Zahl der Unternehmen und Mitarbeiter um das Dreifache”, erläutert Filip.

Der Beginn einer Start-up-Szene

Die Start-up-Szene nimmt in Moldawien hingegen nur langsam Fahrt auf: “Es gibt für Jungunternehmen keine formellen Organisationen oder Investoren, an die sie sich wenden können. Allerdings können sich erfolgreiche moldawische Start-ups für eine Förderung durch verschiedene europäische und internationale Programme bewerben”, sagt Ionela Titirez, IT-Industriemanagerin für das sogenannte CEED-II-Projekt von USAID. Die US-Behörde organisiert neben einem örtlichen Start-up-Wochenende auch einen jährlichen ITK-Gipfel in Moldawien. Letzterer umfasst auch eine Existenzgründern gewidmete Rubrik.

Titirez kann dabei auch von einigen Erfolgsgeschichten der lokalen Start-up-Gemeinschaft berichten – etwa die von Noction, einem in Chisinau gegründeten Jungunternehmen, das mit seinem Hauptsitz später in die USA übersiedelte. Es offeriert die automatisierte Steigerung der Netzwerkleistung für den Onlinehandel oder Voice over IP mittels BGP – einem Routingprotokoll, das autonome Systeme miteinander verbindet. Weiteres Beispiel ist die Plattform privesc.eu, die Live-Übertragungen bestimmter Events anbietet. Aus Moldawien kommen laut Titirez zudem das für Werbeanzeigen gedachte Tool AdEasy sowie die ADD Grup, die sich auf energiesparende Hardware spezialisiert hat.

[mit Material von Andrada Fiscutean, ZDNet.com]

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