Französin erstreitet vor Gericht Beihilfe wegen Elektrosensibilität

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Strahlung (Bild: Shutterstock/Yuriy Vlasenko)

Die 39-jährige Marine Richard berichtet seit 2010 von Beschwerden aufgrund elektromagnetischer Hypersensibilität. Sie lebt seitdem abgeschieden in den Bergen. Nun wurde ihr wegen einer Behinderung für zwei Jahre rückwirkend eine monatliche Beihilfe von 680 Euro zugesprochen.

Ein Schiedsgericht im südfranzösischen Toulouse hat der 39-jährigen Marine Richard aufgrund elektromagnetischer Hypersensibilität eine Behinderung von 85 Prozent zuerkannt, sie damit als arbeitsunfähig klassifiziert und ihr – beginnend ab 1. April 2013 – für zwei Jahre eine Beihilfe von 680 Euro im Monat zugesprochen. Französischen Medienberichten zufolge ist es das erste Mal, dass die unter Experten umstrittene Elektrosensibilität von einem Gericht als Grundlage einer Behinderung anerkannt wird.

Zwar wurde bereits 2014 von der zuständigen Stelle eines anderen Départements eine Beihilfe an einen Mann gewährt, dabei handelte es sich aber um eine gütliche Einigung und keinen Gerichtsbeschluss. Und wie die Organisation Que Choisir – ein Pendant zur deutschen Stiftung Warentest – ausdrücklich betont, kann auch die jetzt gefällte Entscheidung noch gekippt werden. Wie sie berichtet, hat die für die Betreuung behinderter Menschen zuständige Stelle des Départements Ariège bereits Berufung eingelegt. Die endgültige Entscheidung müsse dann die für Sozialgerichtsbarkeit zuständige Kammer des Berufungsgerichts fällen.

“Weiße Zonen” für Betroffene gefordert

Dessen ungeachtet hat Marine Richard die Entscheidung zum Anlass genommen, um für die Einrichtung “weißer Zonen” zu plädieren, in denen alle Arten strahklungsemmittierender Geräte untersagt sein sollten. Richard beschwert sich seit 2010 über Migräne, Übelkeit und Müdigkeit. Sie hat damals ihre Wohnung in Marseille aufgegeben, sich in eine abgeschiedene Region in den Pyrenäen zurückgezogen und einen Krimi mit dem Titel “Sans mobile” (“Ohne Mobilfunk” sowie gleichzeitig “Ohne Motiv”) geschrieben. Darin wird ein Kollektiv freiwilliger Antennenabsäger wenig vertrauenswürdigen Handlangern der Mobilfunkindustrie verfolgt, widerstehen in Tierfelle gekleidete Aussteiger der Versuchung der verstrahlten Welt und ist ein elektrosensibles Paar auf der Suche nach einem sicheren Platz, wo sein Baby zur Welt kommen kann.

Auch Organisationen wie Robin des Toits (“Robin der Dächer”), die sich gegen jedwede Art von Strahlung wenden und sie als Quelle diverser gesundheitlicher Probleme bekämpfen, sehen in der Entscheidung dennoch einen wichtigen Meilenstein. Sie verweisen darauf, dass vom Schiedsgericht, das sich aus einem Richter, sowie je einem Vertreter von Angestellten und Arbeitgebern zusammensetzt, erklärt wurde, Elektrosensibilität sei zwar nicht als Krankheit klassifiziert, die klinischen Anzeichen seien jedoch “unzweifelhaft”.

Nachweis fällt Wissenschaftlern schwer

Dabei stützt es sich auf ein Gutachten eines von ihm beauftragten, in dem Département ansässigen Allgemeinmediziners. Generell ist unter Medizinern aber umstritten, ob elektronische Geräte und davon ausgehende Strahlung gesundheitliche Beschwerden auslösen können. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) führte bereits 2006 eine Studie mit Schwerpunkt auf Mobilfunkstrahlung (PDF) durch, in deren Rahmen bei Personen, die sich selbst als elektrosensibel bezeichneten, kein Hinweis auf eine erhöhte Sensitivität gefunden werden konnte.

2008 erklärte die Deutsche Strahlenschutzkommission, ebenfalls in Bezug auf Mobilfunk, dass es in mehreren Studien weder möglich gewesen sei “Kriterien zu finden, die die objektive Identifizierung ‘Elektrosensibler’ ermöglichen, noch konnte nachgewiesen werden, dass die Gesundheitsbeschwerden ursächlich mit elektrischen, magnetischen oder elektromagnetischen Feldern zusammenhängen.”

Nachgewiesen wurde bislang lediglich zweifelsfrei, dass bereits Berichte über gesundheitliche Risiken von Mobilfunk oder WLAN ausreichen, um bei einigen Menschen Krankheitssymptome auszulösen. Nachdem das zu Beginn des Mobilfunkzeitalters große Interesse an dem Thema in der Wissenschaft allmählich schwächer geworden ist, gab es in den vergangenen Jahren kaum noch neue, große Studien dazu.

Das Portal Heilpraxis.net verweist lediglich auf eine niederländische Studie, die keine Gefahr sieht, sowie eine Untersuchung deutscher Wissenschaftler. Sie haben bei Mäusen festgestellt, dass Mobilfunkstrahlung das Krebswachstum fördert. Möglicherweise könnten durch die zunehmende Verbreitung von WLAN und Entscheidungen wie jetzt in Frankreich jedoch neue Untersuchungen beauftragt oder in Angriff genommen werden. Schließlich steht für Arbeitgeber und Sozialkassen viel Geld auf dem Spiel.

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