Künstliche Intelligenz für die digitale Energiewende

Das Gelingen der Energiewende hängt nicht nur von einem Paradigmenwechsel in der Energieerzeugung ab. Es geht längst auch um die Frage, wie eine zukunftsfähige Stromversorgung aussehen kann und welchen Anteil digitale Technologien daran haben.
In vielen Bereichen der Energiebranche kommt bereits jetzt Künstliche Intelligenz zum Einsatz. Sie gilt als eine der Schlüsseltechnologien für die Energiewende.
Die Bedeutung der Digitalisierung ist den Unternehmen der deutschen Energiebranche durchaus bewusst. Die Bestandsaufnahme in Form der Studie Digital@EVU, die 2020 zum vierten Mal vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), Kearney und IMP3rove herausgegeben wurde, zeichnet allerdings das Bild einer Branche, die sich in manchen Bereichen noch im Aufbruch des Wandels befindet.
So verfügt der Großteil der Unternehmen über keine konkrete Digital Roadmap und die Möglichkeiten digitaler Technologien werden vielfach nicht genutzt – bei der Datenanalyse genauso wenig wie bei der Interaktion mit Kunden. Ein Grund hierfür: Der Fokus liegt häufig noch auf der (Weiter-)Entwicklung der IT-Infrastruktur und auf Fragen der Sicherheit. Veränderungen des Marktes selbst oder der Kundenanforderungen kommen erst danach.
Digitalisierung als „Enabler“ der Energiewende
Die Notwendigkeit zu einer Auseinandersetzung mit digitalen Lösungen für die Energieversorgung ist aber branchenweit erkannt worden. Denn diese wird durch den steigenden Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamtversorgung zunehmend komplexer. Großkraftwerke können Energie bedarfsgerecht liefern, sie spielen aber im neuen Versorgungsmodell eine untergeordnete Rolle.
Dieses wird bestimmt von einer Energieerzeugung, die zeitlichen Schwankungen – bei Photovoltaik genauso wie bei Wind – unterworfen ist. Vor diesem Hintergrund funktioniert die stabile Bereitstellung von Strom nur, wenn Erzeugung, Bedarf, Speichermöglichkeiten und flexible Erzeugungsanlagen in eine dynamische Beziehung gesetzt werden können.

Das ist nicht allein eine strukturelle oder infrastrukturelle Frage. Es ist in weiten Teilen vor allem eine Frage von Organisation und Management, auf Basis immer größerer Datenmengen. Sie helfen bei der Ermittlung des Bedarfs, geben Auskunft über Kapazitäten und erlauben Prognosen zu nahezu allen Bereichen der Energieversorgung, beispielsweise zur Leistung von Photovoltaikanlagen. Bei dieser enormen Organisationsleistung spielt der Einsatz Künstlicher Intelligenz eine Schlüsselrolle.
Mehr Daten, mehr Analysebedarf
In einem zunehmend dezentralen Stromversorgungssystem, in dem auch die Endkunden in immer größerer Zahl selbst zu Einspeisern werden, fallen in vielen Bereichen wachsende Datenmengen an:
- Die Erzeuger entstehen Daten von Maschinen, Wartung, Sensoren, dazu müssen Wetterdaten für die Nutzung von Sonnen- und Windenergie berücksichtigt werden.
- Von Seiten der Konsumenten kommen Verbrauchsdaten hinzu sowie personenbezogene Daten. Bei Prosumern, die nicht nur Abnehmer, sondern zugleich auch Erzeuger sind, überschneiden sich die Datenmengen von Verbrauchern und Produzenten sogar. Dazu entstehen Daten, die Aufschluss über den Eigenverbrauch geben.
- Die Netzbetreiber, sowohl für die Verteilung als auch für die Übertragung, agieren anhand von Daten zu Einspeisemengen und Netzauslastung.
Daneben spielen Marktdaten in einem flexibleren Versorgungssystem eine stärkere Rolle, vor allem, aber nicht ausschließlich für Energiehändler, Lieferanten und den Vertrieb. Mit SMARD-Strommarktdaten hat die Bundesnetzagentur eigens eine Informationsplattform geschaffen, die diese Daten aufbereitet und zur Verfügung stellt.
Die Erfassung und die Auswertung solcher Datenmengen ist eine komplexe Aufgabe, bei der sich der Wert der Daten erst durch eine Verknüpfung der verschiedenen Teilbereiche ergibt.
Vielfältige Möglichkeiten durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz
Etwa bei individuelleren Tarifangeboten für die Verbraucher: Smart Meter erlauben prinzipiell, den Stromverbrauch eines Haushalts in Echtzeit zu erfassen. In Verbindung mit Prognosen zum zukünftigen Verbrauch, Daten zum Stromangebot, dem Wetter etc. kann die Künstliche Intelligenz die Nachfrage und Angebot verbessern.
Strom für Haushaltsgeräte, Wärmepumpen oder die Aufladung von Elektrofahrzeugen könnte dadurch immer dann geliefert werden, wenn er wegen großer verfügbarer Mengen günstig ist. Es wäre dabei auch Aufgabe der Künstlichen Intelligenz, Schwankungen bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien in die Prognosen einfließen zu lassen.
Dadurch werden variable Tarife möglich, die für die Verbraucher einerseits eine effizientere Energienutzung bedeuten, die andererseits aber genauso zu Kosteneinsparungen führen. Für Haushalte, die bereits mit einem Smart Meter ausgestattet sind, können die relevanten Daten zum Stromverbrauch per App visualisiert werden.

Verbraucher erhalten so die Möglichkeit, ihr eigenes Verhalten besser überblicken und kontrollieren zu können. Auch dies ist ein wichtiges Instrument, um die Energieversorgung und den Verbrauch effizienter zu gestalten und die Energiewende voranzutreiben. Denn die benutzernahe Visualisierung kann die Verbraucher stärker für den Stromverbrauch sensibilisieren.
Die Erzeuger wiederum können sowohl für private wie für geschäftliche Abnehmer besser abgestimmte Produkte anbieten. In einem dezentralen Versorgungssystem müssen die Kunden und ihre Bedürfnisse stärker in den Mittelpunkt rücken, um im Wettbewerb relevante Vorteile zu erhalten. Laut Digital@EVU gehört die digitale Kundeninteraktion allerdings zu den Bereichen, in denen die Energiebranche noch nachbessern muss.
Hemmnisse und Risiken von Künstlicher Intelligenz in der Energieversorgung
Das gilt in ähnlicher Weise für die so wichtige Datenanalyse im Allgemeinen. Hier sind die Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten ebenfalls bekannt. Um im Beispiel zu bleiben: Die oben beschriebenen Visualisierungen des Stromverbrauchs sind inzwischen seit einigen Jahren erprobt, wenn sie auch nicht flächendeckend zum Einsatz kommen. Dass der Digitalisierungsgrad und damit die Verwendung von Künstlicher Intelligenz in der Energiewirtschaft noch ausbaufähig ist, hat unterschiedliche Gründe:
- Die Personalfrage ist, wie in den meisten Digitalisierungsbelangen, kritisch. Es fehlt an vielen Stellen sowohl an den notwendigen Fachkräften als auch im vorhandenen Know-how in den Betrieben.
- Wie schon erwähnt, sind außerdem die technischen Voraussetzungen vielfach noch nicht ausreichend, um Künstliche Intelligenz und Datenanalyse mit Mehrwert zu nutzen.
- An der Technologie hängen dazu relevante Fragen der (Daten-)Sicherheit: Künstliche Intelligenz ist keine Garantie gegen Cyber-Angriffe, vielmehr bietet sie ihrerseits neue Angriffsmöglichkeiten. Bei einer kritischen Infrastruktur wie der Energieversorgung müssen die technologischen wie auch die rechtlichen Rahmenbedingungen stimmen, um die Versorgungssicherheit gewährleisten zu können.
Künstliche Intelligenz und Data Analytics in Energieversorgungsunternehmen
Wie gewonnene Daten möglichst effizient genutzt werden können, ist in vielen Unternehmen der Energiewirtschaft noch nicht geklärt. Das heißt, dass die Daten zwar vorliegen, aber nicht oder nur unzureichend verwertet werden können.
Wo die eigenen (technischen) Möglichkeiten nicht ausreichen, werden Kooperationen angestrebt, die auch branchenübergreifend angelegt sein können. Damit erhalten Netzbetreiber, Energiehändler und Versorgungsunternehmen die notwendige Unterstützung, Fachwissen und Tools, um automatisiert und schnell wichtige, wettbewerbsrelevante Erkenntnisse zu gewinnen – für sämtliche datengestützten Geschäftsbereiche.
Von diesen werden nach Erkenntnissen der Digital@EVU jedoch nur in wenigen mit einem wirklichen Mehrwert Daten genutzt. Beim Transportnetz schätzen die deutschen Energieversorger sowohl den Reifegrad der automatisierten Datenanalyse als auch den der Datennutzung am höchsten ein. Dahinter folgt die zentrale Erzeugung von Strom aus fossilen Energieträgern.
Viele andere Bereiche – vom Facility Management über das Personal bis zu Vertrieb und Handel – bleiben vorläufig noch dahinter zurück. Hier werden häufig noch Use Cases für die Daten gesucht.

Relevante Use Cases für Künstliche Intelligenz
Hinsichtlich ihres Nutzens stellt Künstliche Intelligenz keine Ausnahme zwischen den vielen digitalen Möglichkeiten – etwa Plattformlösungen für die Energiewirtschaft – dar, die für eine erfolgreiche Energiewende in Frage kommen. Ein Mehrwert entsteht nur dann, wenn die Technologie sinnvoll in die Unternehmensprozesse integriert werden kann.
Dabei müssen sich die Unternehmen einige grundsätzliche Fragen stellen. Denn obwohl Künstliche Intelligenz in vielen Anwendungsfeldern – Anlagenplanung; Netz- und Anlagenbetrieb; Instandhaltung, Wartung und Anlagenmanagement; Vertrieb und Kundenschnittstellen – eingesetzt werden kann, besteht dazu nicht zwingend immer die Notwendigkeit:
- Große, eventuell sogar unstrukturierte Datenmengen mit vielen Variablen lassen sich von einem Menschen kaum verwerten. Fehlen ausreichende Datenmengen jedoch, wird die Künstliche Intelligenz nicht genügend versorgt, um Schlussfolgerungen ziehen zu können – sie bleibt so hinter ihren potenziellen Möglichkeiten zurück.
- Kann anhand der Datenauswahl, mit denen die Algorithmen der Künstlichen Intelligenz Muster erkennen lernen sollen, keine hinreichende Varianz geboten werden, ist die spätere Datenanalyse womöglich verzerrt. Die Algorithmen können dann gar nicht zu den Lösungen finden, die von ihnen erwartet werden.
- Entscheidungen auf Basis von vielen tausend Datensätzen sind aus menschlicher Perspektive nicht immer nachvollziehbar. Gehört dieser Aspekt jedoch zum Anforderungsprofil an die Künstliche Intelligenz, ist deren Einsatz wahrscheinlich nicht empfehlenswert.
Ob also ein echter Use Case vorliegt, ist immer im Kontext zu betrachten. Dazu gehört die Analyse der möglichen Anwendungsfelder genauso wie die Beurteilung verschiedener Ansätze: Geht es um eine Optimierung von Prozessen, Produkten und Dienstleistungen? Welchen Daten sind überhaupt im Unternehmen vorhanden und wichtig? Ist das notwendige Know-how im Unternehmen verfügbar?
Ein effizientes Energieversorgungssystem braucht eine ebenso effizient arbeitende Künstliche Intelligenz. Aufwändige Umsetzungen mit unsicherem Mehrwert sind daher unter Umständen nicht zielführend, um die digitale Energiewende voranzubringen.